Da wollte nun der Pfälzer zum Friseur, und auch die anderen mußten mit ihm
gehen. Eugen wunderte sich, weil die Pariser das Haar kurzgeschnitten trugen,
wie die Deutschen. Und er sagte zum Friseur, als Zivilist trage er langes Haar.
Da machte der mit den Händen nach, wie Eugens dicke Mähne vom Kopf abstand,
und schüttelte sich vor Abscheu. Der dicke Pfälzer ließ sich das Gesicht
mit heißen Handtüchern pressen. Dann brachte ein Gehilfe eine Art nickelblanker
Kaffeekanne, unter der eine Spiritusflamme bläulich brannte, kniete nieder,
blies in ein Röhrchen hinein und sprühte dem Pfälzer erwärmte Creme auf sein
dickes Gesicht. Davon bekam der eine glatte und marmorgelbliche Haut,
als wäre er ein Standbild, freilich kein besonders schönes. Der mit seiner edeln
Maske ... dachte Eugen und war neugierig, wie lange die anhalten würde. Nach
ein paar Schritten aber und bis sie bei der U-Bahn-Station waren, hatte dieser
Pfälzer wieder sein gerötetes Gesicht, allerdings mit ein paar gelben Flecken.
Und als er sich schneuzte, war auch seine rote Nase wieder
da. - Hermann
Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am Main 1988 (st 1491, zuerst 1983)
Hans Erich Nossack, Klonz.
In: Ders., Die Erzählungen. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1948)
Friseur (3)
Im leeren Salon sitzen Friseure und schauen drein. Sie gehn ans Fenster, doch dort ist weit und breit nichts zu
sehn. Sie lesen das Tagblatt, reiben die Stirnen, pfeifen sich was.
Die Hähne krähn, ein Gewitter naht, das Städtchen wird naß, Sie heben langsam die Arme hoch und warten sich wund, Und winden sich nun, gehn hoch an der Wand, weil der Regen pufft,
|
- Julian Tuwim, nach (
mus
)
Friseur (4) In dem Stummfilm "Die Mysterien des Frisiersalons" von
1922 - nach Drehbucheinfällen von Bertolt Brecht, unter der Regie des
später berühmten Theaterregisseurs Erich Engel - tritt Karl Valentin als
Verunstalter von Frisuren auf, der einem Kunden aus Versehen den Kopf
absäbelt. Zwischendurch wird elektrisiert, gefoltert und an Liesl
Karlstadts Gesicht herumgemeißelt. Keiner der Macher hatte Ahnung vom
Film, sie drehten mit früher Punk-Attitüde auf dem Dachboden eines
Privathauses einfach drauflos. Der Film wurde kaum beachtet. - Ekkehard
Knörer,
taz
vom 20. Juli 2007
Friseur (5) Ein Friseur hielt lange Reden und ließ dabei Wahrheiten von folgendem Kaliber los: Wenn einer Geld hat, zieht man vor ihm den Hut; sonst aber, wenn man wie ich all seine Habseligkeiten in Papieren angelegt hat, die nichts einbringen, heißt es: »Iß trocken Brot, Marie, iß trocken Brot, Marie.« Jedesmal nämlich, wenn ich Wertpapiere gekauft habe, fielen sie am Tage darauf; ich könnt es mir übrigens nicht verkneifen, ich brauche Aufregung.
Seine Tischgenossen hatten ihr Vergnügen daran; sie füllten ihm das Glas,
und mit seinen trüben Augen, seiner stolzen Kretinmiene legte er wieder los:
Ich bin sehr für Erotik; wer darauf verzichten kann,
der muß schon ein Vogel sein, der nur hinter seinen Kindern herpfeift - und
indem er mit einem Kalauer auf seinen Beruf anspielte, fügte er hinzu: Ich beschäftige
mich immer gern mit Vögeln, manchmal sogar mit tollen. - Joris-Karl Huysmans, nach (
hum
)
Friseur (6) Der ganze Raum war von braunen, schwarzen, grauen Locken übersät.
»He«, begann ich, gespielt jovial, »ganz schön was los gewesen heute, oder?«
»Du weißt doch«, sagte Cal und schaute weiter zum Fenster hinaus, »daß das Zeug da schon fünf, sechs Wochen herumliegt. Hier kommt doch keiner rein, der richtig im Kopf ist, nur Tramps, und dazu gehörst du nicht, oder Idioten, und du bist ja keiner, oder Glatzköpfe, und das bist du ja auch nicht, die fragen alle nur nach dem Weg zum Irrenhaus. Ja, und dann kommen auch noch Leute, die kein Geld haben, so wie du, also setz dich da hin und fühl dich wie auf dem elektrischen Stuhl, die elektrische Haarschneidemaschine ist seit zwei Monaten nicht in Ordnung, und ich wüßte nicht, warum ich sie reparieren lassen sollte. Setz dich!«
Ich folgte den Anweisungen meines Henkers, setzte mich in den Stuhl und schaute auf die am Boden verstreuten Haare, stumme Symbole vergangener Ereignisse, die eine Bedeutung haben mußten, die sich mir jedoch nicht erschloß. Auch wenn ich schräg von der Seite daraufsah, konnte ich keine merkwürdigen Gestalten, keine Weissagungen ausmachen.
Schließlich drehte Cal sich um und durchschritt dieses verlorene Meer aus
Porzellan und Locken, ließ seine Hände, ohne hinzusehen, nach Kamm und Schere
greifen. Als er hinter mich trat, zögerte er einen Augenblick, wie ein Henker,
den es betrübt, daß er einem jungen König den Kopf abschlagen muß. -
Ray Bradbury, Der Tod ist ein einsames Geschäft. Zürich 1989
Friseur (7) Was für ein Kontrast zum benachbarten Laden! Hier gibt es keine Draperien aus blauem Velours und auch keine enigmatisch dreinblickende Kassiererin. Anstatt wie der vorhergehende einen abenteuerlichen Opernnamen wie Norma zu führen, der wie ein Fenster auf Weinberge ist, empfiehlt sich das Haus mit den Vornamen von sieben Friseuren;
VINCENT
PIERRE
HAMEL
ERNEST
ADRIEN
AM£DEE
CHARLES
Korrekte und etwas lüsterne Friseure. Sie gleichen ihrem Laden aus dunkler
Holztäfelung und Spiegeln. Sie rasieren gut. Sie schneiden die Haare und damit
hat sich's. Das war's für heute. Sie sind durch eine Schule gegangen, wo man
den Friseur als Präzisionsinstrument betrachtete: ihre Methoden haben nichts
Menschliches. In einem Land, wo man das Einseifen der Wangen mit der Hand, wie
das in Deutschland üblich ist, für scheußlich erklärt und lieber den althergebrachten
Dachspinsel benutzt, war es vorauszusehen, daß solche puritanischen Friseure,
auch wenn sie von den heiligen Stätten der Sinnenlust nur zwei Schritte trennten,
dahinkamen, die Tradition angelsächsischer Nüchternheit fortzuführen. Da habe
ich noch eher unter den kleinen Friseuren in den Randbezirken, in Auteuil zum
Beispiel, ja selbst in Ternes, gefühlvolle Praktiker gefunden, die fähig sind,
in die Pflege von Bart und Haar eine gewisse unprofessionelle Liebe hineinzulegen
und die durch plötzliches überraschendes Zartgefühl instinktive anatomische
Kenntnisse verraten, was mir fürwahr die Bezeichnung Haarkünstler erklärt,
die heute nur noch ironisch gebraucht wird. -
(ara)
Friseur (8) Anschließend an die Briefmarken-Handlung
gibt es gleich zwei Friseurläden: der erste für Damen, der zweite ein Salon
für Herren. Friseure für beide Geschlechter, eure Spezialisierung hat etwas
Genüßliches. In weißen Lettern stehen auf euren Schaufenstern die Weltgesetze
geschrieben; die Tiere der Urwälder sind eure Kunden: sie kommen, um sich in
euren Sesseln auf das Vergnügen und die Vermehrung der Art vorzubereiten. Ihr
schert die Haare, glättet die Wangen, ihr schneidet die Krallen, ihr macht die
Gesichter zurecht für die große Zuchtwahl. Man hat heisere Nachtigallen in euren
Leichentüchern gesehen: bevor sie sich setzten, hatten sie in den kleinen Sandspucknapf
ihre mit den Sternen der Nacht banderolierte Zigarre geworfen, um sich dann
der singenden Schere und dem magischen Parfümzerstäuber zu überlassen. Wer hätte
dich, melodischer Vogel, also erkennen sollen in diesem geduldigen Kunden, der
oberflächlich die Klatschgeschichten der Vie Parisienne liest; Ich möchte
doch gern einmal wissen, welche Sehnsüchte ein Lehrling
hat, welche poetischen Kristallisationen sich in seinem Kopf bilden, welche
Luftschlösser er baut, welche Form sein Schmachten und seine Hoffnung annimmt,
wenn er zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn beschließt, Damenfriseur
zu werden und anfängt, seine Hände zu pflegen. Ein beneidenswert gewöhnliches
Los, er wird fortan den lieben langen Tag den Frauen die ganze Farbskala der
Schamröte ins Gesicht treiben, das weiche Haar lösen, den Haarduft entfesseln,
diese hübschen Kabinenvorhänge beiseite ziehen. Er wird in diesem Dunst der
Liebe leben, die Finger im Zartesten, Feinsten und für Liebkosungen empfänglichsten,
das eine Frau besitzt, ohne daß es ihr selber bewußt zu sein scheint. Sollte
es nicht auch Friseure geben, die, wie Bergarbeiter in ihren Schächten, davon
geträumt haben, einzig und allein Brünette zu bedienen oder sich auf Blondinen
zu spezialisieren; Hatten sie vor, dieses Gespinst zu enträtseln, in dem eben
noch etwas von der Verwirrung des Schlafs hing. Ich bin oft an der Schwelle
dieser für Männer verbotenen Läden stehengeblieben und habe zugesehen, wie in
ihren Grotten die Haarpracht sich entfaltete. Schlangen, Schlangen, ihr fasziniert
mich immer wieder. So beobachtete ich eines Tages in der Passage de l'Opéra
die langsamen und makellosen Windungen einer blonden Riesenschlange. -
(ara)
Friseur (9) Was mir not täte, wäre ein wenig
Zärtlichkeit, und oft, wenn man mir ein Kind anvertraut, damit ich ihm die Haare
schneide, lockt es mich in meiner Häßlichkeit Vereinsamten, es zu küssen; auch
bei den Erwachsenen geht es mir so, wenn sie unter meinen Händen einschlafen.
Dann vollführe ich rings um sie ein großes Gebärdenspiel, um mich selbst zu
täuschen, und man könnte meinen, ich 2elebrierte da eine seltsame Opferhandlung,
bei welcher Schere, Zerstäuber, Rasierpinsel, Kamm, Abbrennkerze und die weißen
Tücher als heilige Gerätschaften mitwirken. Welche Freude für mich, mit meinen
Händen in einer üppigen Haarflut zu verweilen, sie
lasten zu fühlen auf einer Stirne, deren Hoheit oder Reinheit ich bewundere!
Das Licht, das icb von allen Seiten auf ein regloses Antlitz mit geschlossenen
Augen fallen lasse, versetzt mich bisweilen in eine Art Verzauberung, und die
Zeremonie will gar kein Ende nehmen, solche Lust gewährt es mir, den Gegenstand
einer jahrtausendalten Versuchung zu erhellen und wieder ins Dunkel zu stürzen.
Ich rasiere zwischen zwei Liebkosungen, die keiner erbeten und jeder unwissend
empfangen hat. - Marcel Jouhandeau, Das
Tagebuch des Friseurs. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
Friseur (10) Was
zum Beispiel ist ein Schreiber auf der anderen Seite? hatte er gefragt. Nehmen
wir die Schreiber im Westen, was ist ein Schriftsteller
dort? Marktabhängiger Zulieferer der Mediengesellschaft! Er ist dort etwas wie
ein Friseur, nichts weiter... ein Friseur, der die Denkübungen seiner Kunden
begleitet und sie gegebenenfalls bestätigt. Zwar wäscht man den Kunden in aller
Form die Köpfe, aber man läßt sie dabei ungeschoren, die Kunden und ihre Denk-
und Sprechübungen. Da können wir doch wohl mit Fug und Recht behaupten, daß
wir etwas tiefer waschen, ein wenig tiefer unter die Kopfhaut! Ja, ein Frisiersalon,
das ist der Westen mit seiner freien Literatur, und besonders sind das die Bundesrepublik
und die Selbständige Einheit Westberlin. Es erstaunt mich immer, sagte der Chef,
daß dort noch niemand einen Nobelpreis für Friseure bekommen hat! Übertreibe
ich ... vielleicht ein bißchen. Ob Sies glauben wollen oder nicht, ich würde
an Ihrer Stelle vorsichtig sein mit meiner Hoffnung auf die freie Literatur
des Westens. - Wolfgang Hilbig, »ICH«. Frankfurt am Main 1995
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