Friedhofsgedanken  Lieber Leser! - Ich traf diesen Mann auf einem Friedhof. Ich tat nichts, um ins Einvernehmen mit ihm zu gelangen, er aber legte gleich Beschlag auf mich. Ich setzte mich nur auf eine Bank, wo er bereits saß, und sagte:

Störe ich?

So begann es.

Sie stören gar nicht, sagte er und machte mir Platz. - Ich sah nur hier über all diesen toten Reichtum hin. Er zeigte mit einer Handbewegung auf die Gräber. Wir waren auf dem Krist-Friedhof.

Je weiter der Morgen vorschritt, um so lebhafter war es da oben geworden; Maurer und Arbeiter waren einer nach dem anderen gekommen, der alte Wächter saß schon in seinem Kiosk und las Zeitungen. Hier und da sah man Frauen in Schwarz, die Blumen pflanzten oder begossen oder Gras ab­schnitten, das zu lang geworden war. Und die Vögel zwitscher­ten laut in den großen Kastanienbäumen.

Er war mir ganz unbekannt. Es war ein junger Mann, breitschulterig, unrasiert und in etwas abgetragenem Anzug. Die Runzeln auf der Stirn, die gewichtige Stimme, seine Gewohnheit, nachdenklich zu blinzeln, wenn er sprach, das alles machte ihn, wie man zu sagen pflegt, ›alt und erfahren‹. Sie sind fremd hier?

Ich bin neun Jahre außer Landes gewesen. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine vor und sah auf den Kirchhof hinaus. Aus seiner Rocktasche guckten deutsche und französische Zeitungen hervor.

Wie traurig ist es auf einem Friedhof wie diesem hier! sagte er. So viel Totes auf einem Fleck! So viel Kraft ertötet und so wenig ausgerichtet. Wie meinen Sie das? Dies ist der Militär-Begräbnisplatz. Ach so, der ewige Friede! dachte ich bei mir. Er fuhr fort:

Aber das Schändlichste von allem ist doch dieser Kultus, der mit den Toten getrieben wird, diese Art und Weise, zu beweinen!

Eine fromme Zwecklosigkeit!

Er machte eine hastige Bewegung und richtete sich auf. Wissen Sie, daß ein Vermögen von Granit auf diesen Gräbern steht? Dann streut man kostbare Blumen über den Sand, schafft sich bequeme Bänke an, um darauf zu sitzen und zu weinen, errichtet heilige Götzensteine aus den Brüchen da oben in den Grefsenbergen - ein versteinertes Vermögen. Der Friedhof ist einer der am wenigsten bankerotten Plätze in der Stadt . . . Ja, nicht wahr, das gibt Ihnen zu denken, fuhr er fort. Einmal hierher gesetzt, bleibt dieser Reichtum hier stehen, er ist unan­tastbar, denn er ist tot. Er fordert nur noch seine Verwaltung, das heißt seine Aufsicht, seine Tränen, seine Blumen, die rings-umher auf den Sandhügeln liegen und welken. Kränze bis zu fünfzig Kronen das Stück!

Ein Sozialist! dachte ich - ein reisender Handwerksbursche, der im Ausland gewesen ist und den Schrei gegen das Kapital gelernt hat - das Kapital.

Sind Sie auch fremd hier in der Stadt? fragte er.

Ja!

Dann legte er sich wieder zurück gegen die Lehne der Bank, blinzelte und dachte, blinzelte und dachte.  - Knut Hamsun, Ein Erzschelm. Sämtliche Romane und Erzählungen Bd. 5. München 1977

Friedhofsgedanken (2) Der Nachtwind hat die Linden geschüttelt, und - ein Wunder! - die für das nächste Jahr reservierten Knospen haben sich geöffnet, so daß die schwarzen Skelette wieder grün werden, wie Aarons Stab. Die Linden des Fnedhofs beginnen also „semper virens" zu werden: unsterblich wie die Ewigen, dank der Sterblichen, die sie dort von unten nähren, mit ihren Körpern und Seelen »Ein organisches Wesen holt sich unaufhörlich aus den es umgebenden Dingen die neuen Moleküle   die aus einem Zustand des Todes in den des Leben; übergehen - - - Wenn bloß eins dieser Moleküle uns seine Geschichte erzählen wollte — Seit die Erde besteht, würde es dann vielleicht sagen, habe ich, das versichere ich euch, einzigartige Wanderschaften unternommen. Ich bin ein Grashalm gewesen, dann, in die Freiheit zurückgekehrt, bin ich von den Wurzeln einer mächtigen Eiche eingesogen worden, ich bin zur Eichel geworden, und dann, oh weh!, bin ich gegessen worden, aber von wem? - - - ich bin gesalzen worden, um auf große Fahrt zu gehen; ein Matrose hat mich verdaut, dann bin ich zum Löwen geworden, Tiger, Wal, in der Folge bin ich einer jungen Brustkranken verabreicht worden, etc." Es ist J. Rambosson, in den Légendes des plantes, der mir auf diese Weise recht gibt in meinen transmutatorischen Spekulationen. Und als ich am Grab von Banville vorbeigehe, frage ich mich, warum die Freunde des Verstorbenen die Rose und den Jasmin gepflanzt haben. Wenn es der Wille des Verschiedenen war, hat er gewußt, daß die Leichengifte nach Rose, Jasmin und Moschus riechen? Ich denke nein, aber ich bin geneigt zu glauben, daß wir am gelehrtesten in den schönen Augenblicken sind, in denen wir am wenigsten wissen.  - (blau)

Friedhofsgedanken (treuherzige, 3)
 

Friedhof Gedanke

 

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