remdheit   Die Ankunft, vielmehr der Einbruch der nordischen Völker änderte alles.

Beim Auftritt dieser Fremdlinge verschwand die Küchenkunst mit den übrigen Wissenschaften, deren Begleiter und Tröster sie ist. Die meisten Köche wurden in den Palästen, wo sie dienten, umgebracht; andere flohen, um nicht die Unterdrücker speisen zu müssen, und die wenigen, die ihre Dienste anboten, erlebten die Schande, sich abgewiesen zu sehen. Diese wilden Mäuler, diese verbrannten Gurgeln waren unempfindlich für die Douceurs einer feinen Küche. Enorme Stücke Fleisch und Wild, unermeßliche Quanten stärksten Gesöffes genügten zu ihrer Lust, und da diese Eroberer immer in Waffen blieben, so wurde manches Mahl eine Orgie, und der Festsaal troff von Blut. Indessen, strenge Herren regieren nicht lange.  - (bri)

Fremdheit (2)   Jeder ist in Istanbul ein Fremder und darum allein. Die Türken oder vielmehr die Osmanen (dem osmanischen Heer, das Istanbul eroberte, gehörten auch Christen an) waren in Istanbul Fremde, weil sie eine fertig ausgeprägte Stadt vorfanden. Die osmanische Elite, die dann fünfhundert Jahre lang über Istanbul herrschen sollte, war ebenfalls fremd, weil sie einer gänzlich anderen Kultur entstammte. Und auch heute sind angesichts des raschen Bevölkerungswachstums neunzig Prozent der Menschen in dieser Stadt eigentlich Fremde. So werde ich denn auch seit meiner Kindheit von jedem, den ich im Dolmus oder auf der Straße treffe, gleich nach der Klage über das Wetter gefragt, woher ich denn sei. Wenn einer wie ich dann beinahe verlegen sagt, er sei Istanbuler, wird gleich argwöhnisch nachgefragt, wo denn dann sein Vater herstamme oder seine Mutter. - Orhan Pamuk, SZ vom 12. Februar 2007

Fremdheit (3)  Um etwas zu sehen, muß man es verstehen. Der Sessel setzt den menschlichen Körper voraus, seine Gelenke und Gliedmaßen; die Schere die Tätigkeit des Schneidens. Was soll man von einer Lampe oder einem Wagen sagen? Der Wilde kann die Bibel eines Missionars nicht erkennen; der Passagier sieht nicht das gleiche Takelwerk wie die Matrosen. Wenn wir das Universum wirklich sähen, würden wir es vielleicht verstehen.

Keine der unsinnigen Formen, die jene Nacht mir darbot, entsprach der menschlichen Gestalt oder einem vorstellbaren Verwendungszweck. Ich empfand Abscheu und Schrecken. In einem Winkel entdeckte ich eine senkrechte Leiter, die in den anderen Stock führte. Zwischen den breiten Eisensprossen, deren es nicht mehr als zehn gegeben haben dürfte, waren unregelmäßige Zwischenräume. Diese Leiter, die Hände und Füße postulierte, war verständlich und tröstete mich irgendwie. Ich löschte das Licht und wartete eine Zeitlang im Dunkel. Ich hörte nicht das mindeste Geräusch, doch die Gegenwart all der unbegreiflichen Dinge beunruhigte mich. Endlich entschloß ich mich.

Oben angekommen, drehte meine furchtsame Hand zum zweiten Mal am Lichtschalter. Der Albtraum, auf den schon das untere Stockwerk vorausdeutete, entfaltete sich hier im oberen erst richtig. Es gab viele Gegenstände oder einige wenige miteinander verbundene Gegenstände. Jetzt fällt mir eine Art langer, sehr hoher, U-förmiger Operationstisch mit kreisförmigen Vertiefungen an den äußeren Enden ein. Ich meinte, es könne sich um das Bett des Bewohners handeln, dessen monströse Anatomie sich mir solchermaßen indirekt wie die eines Tieres oder eines Gottes durch ihren Schatten enthüllte. Von irgendeiner Stelle bei Lukan, verjähren gelesen und dann vergessen, kam mir das Wort amphisbaena auf die Lippen, welches andeutete, aber keineswegs erschöpfte, was meine Augen damals sahen. Ich erinnere mich ebenfalls an ein V aus Spiegeln, das sich in der Dunkelheit oben verlor.

Wie sähe der Bewohner aus? Was könnte er suchen auf diesem Planeten, für ihn nicht gräßlicher als er selber für uns? Aus welchen geheimen Bereichen der Astronomie oder der Zeit, aus welchem uralten und jetzt unermeßlichen Morgengrauen wäre er in diese südamerikanische Vorstadt und gerade diese Nacht gelangt?

Ich hatte das Gefühl, ins Chaos eingedrungen zu sein. Draußen hatte der Regen aufgehört. Bei einem Blick auf die Uhr stellte ich mit Erstaunen fest, daß es fast zwei war. Ich ließ das Licht brennen und machte mich vorsichtig an den Abstieg. Dort hinabzuklettern, wo ich heraufgekommen war, war nicht unmöglich. Hinabzuklettern, bevor der Bewohner zurückkehrte. Ich vermutete, daß er die beiden Türen nicht geschlossen hatte, weil er sie nicht schließen konnte.

Meine Füße berührten die vorletzte Sprosse der Treppe, als ich das Gefühl hatte, daß etwas die Rampe emporkam, beklemmend und langsam und mehrzählig. Die Neugier war stärker als die Angst, und ich schloß die Augen nicht. - Jorge Luis Borges, There are more things. In: J.L.B., Spiegel und Maske. Frankfurt an Main 2000

Fremdheit (4)   Der Fremde, wenn er kein Händler ist, ist ein Feind. - Altenglisch, nach (chatw)

 

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