rauenzimmer
Das Frauenzimmer hat ein angebornes stärkeres Gefühl vor alles, was
schön, zierlich und geschmückt ist. Schon in der Kindheit sind sie gerne geputzt
und gefallen sich wenn sie geziert sein. Sie sind reinlich und sehr zärtlich
in Ansehung alles dessen, was Ekel verursacht. Sie lieben den Scherz, und können
durch Kleinigkeiten, wenn sie nur munter und lachend sein, unterhalten werden.
Sie haben sehr früh ein sittsames Wesen an sich, wissen sich einen feinen Anstand
zu geben und besitzen sich selbst; und dieses in einem Alter, wenn unsere wohlerzogene
männliche Jugend noch unbändig, tölpisch und verlegen ist. Sie haben viel teilnehmende
Empfindungen, Gutherzigkeit und Mitleiden, ziehen das Schöne dem Nützlichen
vor, und werden den Überfluß des Unterhalts gerne in Sparsamkeit verwandeln,
um den Aufwand auf das Schimmernde und den Putz zu unterstützen. Sie sind von
sehr zärtlicher Empfindung in Ansehung der mindesten Beleidigung, und überaus
fein, den geringsten Mangel der Aufmerksamkeit und Achtung gegen sie zu bemerken.
Kurz, sie enthalten in der menschlichen Natur den Hauptgrund, der Abstechung
der schönen Eigenschaften mit den edelen und verfeinern selbst das männliche
Geschlecht. - Immanuel Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen
und Erhabenen (1764)
Frauenzimmer (2) Wo immer wir wohnten, Melanies Zimmer war immer genau dasselbe. Es war ein Zimmer, in dem die Dementia eingekäfigt und eingesperrt war. Immer gab es darin den Papagei in seinem Bauer, immer einen räudigen Pudel, stets dieselben alten Fotos, die Nähmaschine, das Messingbett und die altmodische Truhe. Ein unordentliches Zimmer, das Melanie wie das Paradies vorkam. Ein von schrillem Gebell, von Gekreisch - unterbrochen durch zärtliches Gemurmel, Schmeichelworte, Gegurre, verwirrte Reden, Liebesbeteuerungen - erfülltes Zimmer. Manchmal überraschte ich sie beim Vorübergehen an der offenen Tür, wie sie nur im Nachthemd auf dem Bett saß, den Papagei auf ihrer verkrümmten Hand, den Hund zwischen ihren Beinen schnuppernd. «Hallo», sagte sie dann und schaute mit reiner, sanfter Unschuld zu mir auf. «Ein schöner Tag heute, nicht wahr?» Und vielleicht schob sie den Hund weg, nicht aus Scham oder Verlegenheit, sondern weil er sie mit seiner teuflisch geschickten, feuchten kleinen Zunge kitzelte.
Manchmal stahl ich mich heimlich in ihr Zimmer, nur um herumzuschnüffeln.
Ich war neugierig, was Melanie betraf, welche Briefe sie erhielt, welche Bücher
sie las und so weiter. Nichts in ihrem Zimmer war weggeschlossen. Ebensowenig
war jemals etwas ganz aufgebraucht. Immer war ein wenig Wasser in der Untertasse
unter dem Bett, immer lagen einige angeknabberte Kekse oder ein Stück Kuchen,
das sie angebissen und vergessen hatte, auf der Truhe. Mitunter lag ein aufgeschlagenes
Buch auf dem Bett, die Seite durch einen zerrissenen Pantoffel offengehalten.
Bulwer-Lytton gehörte offenbar zu ihren Lieblingsautoren, ebenso Rider Haggard.
Sie schien sich für Magie zu interessieren, besonders für die schwarze Kunst.
Da gab es eine Broschüre über Mesmerismus, die allem Anschein nach reichlich
oft benutzt worden war. Die überraschendste Entdeckung, in einer Kommodenschublade,
war ein Gummiinstrument, für das es nur einen Verwendungszweck gab, es sei denn,
daß Melanie, in ihrer verschrobenen Art, es für ganz unschuldige Zwecke benutzte.
Ob Melanie sich manchmal eine angenehme Stunde mit diesem Gegenstand bereitete,
wie es in früheren Zeiten die Nonnen taten, oder ob sie ihn in einem Trödelladen
gekauft und für einen unerwarteten Bedarf im Verlauf ihres zeitlosen Lebens
beiseite gelegt hatte, blieb mir ein Räsel. Ich konnte mir unschwer ausmalen,
wie sie mit ihrem zerrissenen Hemd auf der schmutzigen Steppdecke lag und dieses
Ding mit geistesabwesender Unbekümmertheit in ihrer Scheide hin und her schob.
Ich konnte mir sogar den Hund vorstellen, wie er den Saft aufleckte, der langsam
zwischen ihren Beinen herabrann. Und der wie wahnsinnig kreischende Papagei,
der vielleicht einen blöden Satz, den Melanie ihm beigebracht hatte, wiederholte,
wie: «Immer schon langsam, meine Liebe!» oder «Nu mach schon, nu mach schon!»
- Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980
(zuerst 1947)
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