rau,
unverstandene »Oft fühle ich mich so unverstanden wie die Jungfrau
von Orléans mit all diesen schrecklichen Bischöfen
und Kardinälen, die dauernd mit vielen unnötigen
Fragen ihr armes gequältes Hirn marterten. Eine enge geistige Verwandtschaft
zwingt mich zu Mitgefühl mit der heiligen Johanna, und oft meine ich, auf dem
Scheiterhaufen verbrannt zu werden, weil ich so anders bin als alle hier und
mich immer geweigert habe, diese wundervolle, seltsame Macht, die ich in mir
spüre, aufzugeben, und die Macht sich immer dann zeigt, wenn ich harmonisch
mit einem anderen geistvollen Wesen wie mir selbst
kommuniziere.« - (
hoer
)
Frau,
unverstandene (2) Margaritas Seele
bestand aus jenem hehren Stoff, aus dem Gott seine Märtyrer
formt. Sie wußte es und hielt sich zum Leiden parat. Schade nur, daß das Leben
gar keine Opfer von ihr zu verlangen schien und daß eine überströmende Schmerzbereitschaft
an minimalen Kränkungen ihr Genüge finden mußte. Voller Duldensglut stürzte
sie auf jeden Anlaß, aus dem sich eine seelische Schramme herausschlagen ließ;
mit hoher Freude beulte sie sich an allen auftreibbaren Ecken und Kanten; in
sicherem Regieinstinkt bereitete sie Situationen vor, wo eine Verletzung ihres
innersten Gefühls unausweichlich schien —: nichts half; sondern Julius zeigte
sich nur noch beflissener, seines Weibes martyrische Disponibilität brachliegen
zu lassen. Was Wunder, daß sie sich bei ihm stets unverstanden und schlechter
Laune fühlte!? -
André Gide, Die Verliese des Vatikan. München 1975 (dtv 1106, zuerst 1914)
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