Frau, leere   Was für Menschen sind diese zwei jungen, atemberaubenden Frauen, oder überhaupt sie alle, mit denen wir während unseres kurzen Aufenthalts in Paris zusammengekommen sind? Ich meine jetzt vor allem Nancy Cunard und Iris Tree, obwohl wir Iris seltener gesehen haben als Nancy. Mit Sicherheit standen sie über den Dingen, so wie wir sie in Paris erlebt haben. Nancy Cunard, kerzengerade, ausgemergelt, erhobenen Hauptes, nicht sonderlich lebhaft, die blauen Augen vollkommen ungetrübt, unverletzlich in der Jungfräulichkeit reinen Handelns. Nie habe ich sie betrunken gesehen; ich kann mir vorstellen, daß sie nie ganz nüchtern war. Wenn das Irische in ihr, über ihre amerikanische Mutter, sie wagemutig gemacht hatte, so hatte ihr deutsches Blut Iris Tree still, beinahe langweilig gemacht. Sie war stämmiger gebaut als ihre englischen Landsmänninnen, das dichte blonde Haar lag ihr auf den Schultern, und hätte man sie auf ein anständiges gepanzertes Schlachtroß gesetzt, wäre sie das perfekte Ebenbild von Sir Galahad gewesen.

Es gab auch noch andere, aber diese beiden schienen mir etwas ganz Besonderes - vielleicht weil sie jeglichem Verlangen, das ich für sie hätte empfinden können, so absolut fern waren. Sie beherrschten Paris, so viel von Paris, wie sie wollten, aber ich wurde nicht schlau aus ihnen. Ich bin sicher, daß ich sie nicht als Frauen betrachtet habe. Sie waren so etwas wie eine vorübergehende Phase, die für mich ebenso fest und dauerhaft war wie die Steine, auf denen wir gingen. Wenn ich noch einmal nach Paris käme, würde ich erwarten, sie dort genau wie damals wieder anzutreffen: jung, der Wirklichkeit entrückt, ohne Leidenschaft. Das ist es. Sie schienen absolut bar jeder Leidenschaft. Sie hatten, jung wie sie waren, bittere Erfahrungen hinter sich, ohne emotionale Reaktion. In beiden war nichts mehr übrig. Sie waren vollständig leer, und dabei waren sie jung, attraktiv und unangreifbar. Niemand, mit dem sie in Berührung kamen, konnte ihnen auf irgendeine Weise schaden oder sich sehr zu ihnen hingezogen fühlen. Sie waren so ruhig in ihrer Stimmung und so ausschweifend in ihrem Tun (so hieß es), als wären sie aus Kalk geschnitten; so jedenfalls habe ich sie für mich gesehen. Aus irgendeinem seltsamen Grund empfand ich eine starke Zuneigung für sie. Sie beide, besonders aber die schier stupide aussehende Iris, erschienen mir sehr begehrenswert, sie kamen aus einem Paris, das tot war, tot, tot.

Ich wollte nichts an diesem Zustand ändern; und ich war glücklich mit dem Wissen, daß es, hätte es die Möglichkeit gegeben, aus solchem Stoff eine Liebe erstehen zu lassen, völlig unmöglich gewesen wäre, sie zu beschreiben.

Es war ein ähnliches Gefühl, als ginge man durch die Korridore einer Skulpturen-Galerie. Die Dummen halten es für eine amüsante Vorstellung, daß Galatea lebendigwerden könnte, aber sie haben nicht die leiseste Ahnung, welch eine Strecke sie dafür zurücklegen müßte. Und wenn sie wieder lebendig würde, was wäre das für eine schreckliche Sache: ist doch die Vergangenheit etwas, das wir nicht einmal in der Phantasie wieder lebendig werden lassen können. Etwas in dieser Art empfand ich bei diesen beiden englischen Damen der Gesellschaft, so bewußt mir auch ihr vulgäres Wesen war. Mit ihren Ausschweifungen machten sie eine echte Keuschheit des Geistes geltend, die niemand verderben konnte. Die geistige Unruhe einer Clotilde, einer Mina, hatte, in meinen Augen, zu einer gewissen Entschlossenheit geführt, aber besonders bei Nancy hatte sie, nach einer Art Läuterung, das Stadium der Ausweglosigkeit erreicht.

Als Lady Asquith einmal in London Lady Cunard begegnete, soll sie mit sehr lauter Stimme, um sie zu kränken, die auf Nancy gemünzte Bemerkung gemacht haben: »Was ist es denn diesmal, Maud: Whisky, Opium oder Nigger?«

Auch so etwas ließ Nancy kalt, und wenig später heiratete sie Henry Crowder, den Farbigen, der im Ersten Weltkrieg General March als Chauffeur gedient hatte. Nancy, die perfekte Hure, wenn es je eine gegeben hat, hatte eben recht behalten, ohne zu lügen - und Iris konnte einen, wie Berenice Abbott, die die gleiche Eigenschaft hatte, in dieselbe Hochstimmung versetzen, es glich beinahe einer religiösen Erfahrung. Hatten andere das nicht bemerkt? Iris, die Heilige in Max Reinhardts Inszenierung Mirakel. Eine indirekte, kindische Erfahrung, wie die allerersten Liebesgefühle, die noch nichts mit Sex zu tun haben. Denn sie hatten es beim Namen genannt, sie waren, wenn man so sagen wollte, durch ihr »Leid« zu einer lasterhaften Heiligkeit gelangt. Das Laster war ihr Gebet, ihr Ritual, ihre rhythmische Gymnastik: sie verleugneten die Sünde, indem sie diese in ihren Körpern verschlissen und dann einfach abwarfen, so daß sie nicht beschmutzt dastanden, sondern rein.  - (wcwa) 

Frau, reduzierte Leere

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