rau,
kleine Die kleine Frau ist mit mir sehr unzufrieden, immer
hat sie etwas an mir auszusetzen, immer geschieht ihr Unrecht von mir, ich ärgere
sie auf Schritt und Tritt; wenn man das Leben in allerkleinste Teile teilen
und jedes Teilchen gesondert beurteilen könnte, wäre gewiß jedes Teilchen meines
Lebens für sie ein Ärgernis. Ich habe oft darüber nachgedacht, warum ich sie
denn so ärgere; mag sein, daß alles an mir ihrem Schönheitssinn, ihrem Gerechtigkeitsgefühl,
ihren Gewohnheiten, ihren Überlieferungen, ihren Hoffnungen widerspricht, es
gibt derartige einander widersprechende Naturen, aber warum leidet sie so sehr
darunter? Es besteht ja gar keine Beziehung zwischen uns, die sie zwingen würde,
durch mich zu leiden. Sie müßte sich nur entschließen, mich als völlig Fremden
anzusehn, der ich ja auch bin und der ich gegen einen solchen Entschluß mich
nicht wehren, sondern ihn sehr begrüßen würde, sie müßte sich nur entschließen,
meine Existenz zu vergessen, die ich ihr ja niemals aufgedrängt habe oder aufdrängen
würde - und alles Leid wäre offenbar vorüber. Ich sehe hiebei ganz von mir ab
und davon, daß ihr Verhalten natürlich auch mir peinlich ist, ich sehe davon
ab, weil ich ja wohl erkenne, daß alle diese Peinlichkeit nichts ist im Vergleich
mit ihrem Leid. Wobei ich mir allerdings durchaus dessen bewußt bin, daß es
kein liebendes Leid ist; es liegt ihr gar nichts daran, mich wirklich zu bessern,
zumal ja auch alles, was sie an mir aussetzt, nicht von einer derartigen Beschaffenheit
ist, daß mein Fortkommen dadurch gestört würde. Aber mein Fortkommen kümmert
sie eben auch nicht, sie kümmert nichts anderes als ihr persönliches Interesse,
nämlich die Qual zu rächen, die ich ihr bereite, und die Qual, die ihr in Zukunft
von mir droht, zu verhindern. Ich habe schon einmal versucht, sie darauf hinzuweisen,
wie diesem fortwährenden Ärger am besten ein Ende gemacht werden könnte, doch
habe ich sie gerade dadurch in eine derartige Aufwallung gebracht, daß ich den
Versuch nicht mehr wiederholen werde. - (
kaf
)
Frau, kleine (2)
Frau,
kleine (3) Rosa - noch nicht wie einige
von uns bis zur Unsichtbarkeit beschrieben von unserem Maskenbildner - wird
hier von uns vorgestellt, und zwar sichtbar gemacht: Diese kleine Frau mit den
grauen Haaren wird von uns überredet dazu, sich noch einmal auszuziehen. Und
wenn sie auch jetzt den kleinen, runden Bauch vorstreckt wie eine minderjährige
Traunsteinerin, so wird damit nicht und niemals gewackelt: kein Gebärmutter
s ehr ei also, obwohl das diesbezügliche Zentrum vor Lüsternheit blinzelt; oder
handelt es sich vielmehr um einen einäugigen Schlafzimmerblick,
der uns unter einer kleinen Bauchfalte versucht? Dieser Nabel
jedenfalls verführt uns hinauf zu einem verdoppelten Einblick in Löcher, den
eine gestupste Nase freigebig erlaubt. Ihr Apfelgesicht wird zwischen den runden
Armen zur Trilogie: zwei Paradiesäpfel wölben sich dort aus einem Sommersprossenzelt,
in welchem etwa in Herznähe ein Muttermal strahlt, als Abendstern ankündigend
die dreieckige Nacht zwischen ihren Schenkeln. Ein erhabenes, frohgemutes Gesäß,
sehr hoch angesetzt - keinesfalls versessen, aber doch breit —, läßt unsere
Blicke sich doch eine schöne Senke höhertasten, bis sie zwischen ihren Schulterblättern
das wiederzuerkennen glauben, was schon einmal mit Haaren verheimlicht wurde
an ihr. Das alles steht fest auf zwei kurzen, kräftigen Beinen: ahnbar, zweimal,
hinter den Kehlen, jeweils ein Koitus von Kegel und Pfanne; ein dritter wird
in Bälde der mexikanischen Göttin Synovia, alias unserem Regisseur, eine weitere
Vermehrung von unsereinem gestatten. - Die Rosa trägt eine Kopfbinde - die losen,
braunen Schußfäden werden durch ein gewirktes Medaillon in Gobelintechnik zusammengehalten.
Als wieder Bekleidete öffnet sie ihr Mündchen und zeigt ihre Müchzähnchen her.
Die festen Beine stecken in weißen Strümpfen, die Füße in ausgeschnittenen Lackschuhen.
Sie dreht die Hüften, um ihr buntes Röckchen zur Geltung zu bringen. Wie schön
ist ihre Stirne über den langsamen Augen gebogen, niedrig und rein. Besonders
die gerade Art, auf die unsere Rosa beim Schauen die Augen zusammenkneift, macht
ihren eigentümlichen Charme aus, Bisweilen aber liegt ein Zug von libidinöser
Unverfrorenheit in ihrem Blick. Dem respondieren wir, indem wir die Kruppe unter
dem Röckchen freilegen, bevor uns ihr schnappender Hintern bestürzen kann. Ihre
Kniebeuge bringt zwei nackte, spitze Knie zum Vorschein: kein Gramm Fleisch
zu viel ist jeweils darauf. Auch erinnern uns ihre in dieser Lage obszön sich
verhärtenden Oberschenkel an ihre stumpfe, aber feinkörnige, straffe, dennoch
sehr zarte, vollständig matte Haut. Wieder im Stand wirkt sie pummelig, fast
fett, und die Hüften sehen schwer aus. Die schon erwähnten Oberarme lassen erkennen,
daß sie einmal wabbelig sein wird und ihr Bauch quillt etwas vor. Siehe da:
sie weiß, wie man den Rist reckt, in solchen Augenblicken wird sie atemberaubend,
besonders dann, wenn sie ihre Lippen wie Fischkiemen schürzt. Erstaunlich ihre
plötzliche, wieder ladylike Gewandtheit, die noch plötzlicher abbrechen kann.
Noch lächelt dann ihr Mund, von dem aber schon die Kontur rätselhaft abspringt
zu der tiefen Schmerzensfalte über der Nasenwurzel. Dann vermögen ihre Augen
schrecklich zu starren unter einem abgesprengten Stirnberg. Ihr Nabel aber unter
dem Röckchen wird — so wie wir das jetzt nur ahnen - ihr wirkliches Wesen wie
hinter einem Vorhang vortanzen; wie viele Figuren? Wer hat sie gezählet? — Das
ist sie. Das könnte sie scheinen. - Paul Wühr, Das falsche Buch. Frankfurt am Main 1985
Frau,
kleine (4) Unsere
Freiheit ist durch das begrenzt, was unser Nächster von uns erwartet.
Carmen, schnell entschlossen, mit festem Willen und großzügigen
Anwandlungen, hatte ihm versichert: »Du kannst auf mich zählen!« — um
auf der Stelle zu einer dieser überzeugenden, minuziösen Erklärungen
überzugehen, die mit ihrer lebensprühenden Persönlichkeit unvereinbar
schienen, diese in Wirklichkeit aber ergänzten und verstärkten. Carmen,
Carmen, unablässig Carmen; entzückend, mit den klar gezeichneten Linien
ihrer zarten Gesichtszüge, mit hellem Teint, rosig, funkelndem Blick,
triumphierendem Lächeln, von derart harmonischen Proportionen, daß im
Traum niemand daran dächte, sie »Zwerg«
zu nennen. Wenn er eine Tür öffnete, tauchte auf der anderen Seite sie
auf, vertrat ihm den Weg, so schnell wie die Bewegung eines Fächers und
so graziös wie das als Tänzerin gekleidete Püppchen auf einer Spieluhr;
Carmen — mit Augen, die willenlos machen konnten, mit einem Lachen,
dessen Fröhlichkeit anstek-kend wirkte, makellosen Zähnen, weiß und
spitz, und winzigen Händen mit blassen, feingliedrigen Fingern, die in
krallenartigen Nägeln ausliefen. Unfreiwillig mußte er sie sich
vorstellen, wie sie sich ekstatisch in stampfenden, frenetischen
Tanzrhythmen wand, die sie mit hochgerissenen Armen und einem
gebieterischen Voilä! beendete. - Adolfo Bioy Casares, Liebesgeschichten. Frankfurt am Main 1989
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