rankreich,
süßes Ich ging am Tag in die Sorbonne, wo ich die seltsamsten
sujets studierte, z. B. Sanskrit, aber ich kam meistens zu spät, da ich am Tage
und am Abend vorher mit meinen Freundinnen gefeiert hatte. Ich gab fast mein
ganzes Geld für Midinetten und die kleinen Huren aus, die im Café auf den Wandbänken
saßen und auf Kunden warteten, es war alles ganz natürlich, man mußte irgendein
Verhältnis haben, irgendeine Freundin, ein Pariser Mädchen, die einem das Leben
versüßte. Die Madames der Zimmer und Wohnungen, die Vermieterinnen stimmten
mit dieser These durchaus ein und fanden nichts seltsamer als die Tatsache,
daß ein Student allein lebte, sie sahen ihn scheel von der Seite an, bis er
mit einer Freundin kam, die dann feierlich und freundlich mit Madame angeredet
wurde und als ein selbstverständliches Anhängsel, bestimmt gewisse körperliche
und vielleicht auch geistige Bedürfnisse zu befriedigen, mit Respekt behandelt
wurde. La douce France - wie es damals war und nicht mehr ist. Damals existierten
auch viele Bordelle zu denen man mit Freunden ging, um zu Abend zu essen und
der Liebe obzuliegen, wenn man wollte, man brauchte aber nicht, man konnte und
durfte nichts tun als essen und sich mit rotem Wein füllen. Die Mädchen, die
Damen oder die Huren, wie man sie auch bezeichnen mag, die Wohltäterinnen, die
Busen- und Genitalfreundinnen, paradierten vor einem in seltsamen Negligées und
suchten so etwas wie eine Entscheidung herbeizuführen, waren aber nicht böse,
wenn man sich nicht entschied. Sie setzten sich auch zu uns, den Kandidaten
der Unzucht, sozusagen, und sprachen intelligent, erstaunlich intelligent, es
gab Frauen unter ihnen, die sich durch Lesen große Bildung erworben hatten,
sie waren wie die Geishas in Japan, wirklich unterrichtet in dem, was geistig
vor sich ging. Meistens ließ man sich natürlich überreden und folgte einem der
Mädchen nach oben, wo die Räume für die Exerzitien lagen, die Madame kam und
begrüßte uns, sie war eine höfliche wohlerzogene Lady m mittlerem Alter, der
man die Erfahrung in ihrem Beruf vom Gesicht ablesen konnte. Die Mädchen waren
versiert in allen Phasen und Möglichkeiten der Liebe, am beliebtesten war die
masochistische Praxis, es gab ganze masochistische Bordells in der Rue Richelieu,
wo sich die ständigen Gäste ständig von herrlich gekleideten Damen den Hintern
verhauen ließen. Hinterher Fellatio. Es gab Schulklassen, Gouvernanten, strenge
Mütter und Damen, jede Rolle konnte gespielt werden, jedoch waren viele dieser
Spezialbordells sehr teuer und man konnte es sich nur selten leisten. In die
Richelieu reisten hauptsächlich die wohlhabenden englischen
Touristen, es hieß, daß der König Eduard auch dorthin kam, es hieß so, aber
wir wissen es nicht genau. -
Richard Huelsenbeck,
Reise bis ans Ende der Freiheit. Autobiographische Fragmente. Heidelberg 1984
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