Frage-und-Antwort-Spiel  Jeder neue Einsatz war eine Frage, ein neues Drängen, jeder darauffolgende Verlust war eine Antwort. Aber nicht eine neue, waren es doch immer dieselbe Frage und dieselbe Antwort, nur unendlich oft wiederholt. Ob, wie monoton war doch im Grunde ein Zwiegespräch! Trotzdem beharrte Alessandro mit einer Art neugierigen Staunens darauf, war fest entschlossen, auch den letzten Centesimo zu verlieren, nur um das Ende zu vernehmen. Aber konnte es ein Ende geben? Und was für ein Ende? Alles war so einfach, so einfach und kam ihm jetzt schon seit langem so bekannt vor. Weitermachen war wirklich sinnlos: auch was das Roulett nicht sagte, war ihm so klar! Es hatte ja nur diese eine Sprache, den Wahnsinnslauf seiner kleinen Kugel und deren plötzliches Aufbäumen, deren verzweifelten Absturz; nur diese wirbelnde Aktion stand ihm als Sprache zur Verfügung. Weit davon entfernt, eine kapriziöse Gottheit zu sein, wie dies alle meinen, war es nur blindes Werkzeug in geschickter Hand, Werkzeug im Dienst einer höheren Intelligenz, die eine artikulierte Sprache für die Ohren derer, die hören konnten, verächtlich ablehnte oder für unnütz hielt. Trotzdem waren diese in ihrer Art schon deutlich genug; wieder einmal stellte sich alles als einfach und klar heraus.

Also, Alessandro hatte, um nicht einige andere Zahlen anderswo mitzurechnen, auf die Zweiundzwanzig, die Neun, die Einunddreißig, die Vierzehn, die Eins, die Dreiunddreißig, die Sechzehn und die Vierundzwanzig gesetzt; und hatte die Zwanzig aus dem einzigen guten Grund ausgelassen, weil man nicht einmal, wenn man ein Zwiegespräch hält, statt zu spielen, auf alle Zahlen setzen kann. Und nun hatte sich die Kugel nach einem ungewöhnlich regulären Lauf, nach sorgfältiger Vermeidung der zahlreichen erhobenen Rauten, die den Drehteller säumen und sich zumeist ihrem Lauf entgegenstellen, sanft in jenem «Sektor» niedergelassen; nur daß sie im letzten Augenblick, als sie es sich fast schon im Kästchen der Vierzehn bequem gemacht hatte, an die Scheidewand stieß, die besagtes Kästchen von dem angrenzenden der Zwanzig trennt (schön in der Mitte der obengenannten acht Zahlen) und sich in letzterem mit weichem Schwung verklemmt oder, sagen wir's ruhig, eingenistet hatte.

«Sie ist aus der Vierzehn raus», murmelte ein Croupier wie zum Trost für jemanden, der auf diese Zahl «gesetzt» hatte.

«Diese Kugel hat Augen», murmelte nun auch ein hagerer Typ neben Alessandro, eine Spielratte, von Adele «venezianischer Edelmann» genannt, obwohl er ganz, offensichtlich ein Römer war. «An diesem Tisch ist nichts zu holen: dieser Croupier bringt Unglück. Ich will's am Tisch Nummer sieben versuchen, dort hat man eine ordentlichere Hand.»

Alessandro hatte also wieder einmal verloren, und zwar auf besonders üble Weise, wie es schien. Und das war auch die gewohnte und einzige Antwort auf jene einzige Frage. Aber vielleicht war die Antwort trotzdem nicht genau genug, nicht endgültig; vielleicht sollte man  einfach  noch  einmal,  noch  deutlicher fragen. Schließlich hatte Alessandro in seinem Spiel gerade wohl nicht auf mehr als die Hälfte der insgesamt siebenunddreißig Zahlen gesetzt: in welches Staunen hatte er sich nur verloren? Und wenn er jetzt ein Verteidigungsspiel versuchte, also nur einige Zahlen plein spielte und die anderen, fast alle anderen, nur gerade, um seinen Einsätze herauszubekommen für den Fall, daß er mit den ersten kein Glück, hätte? Die «Maschine» ließ sich nicht bei den Hörnern packen, vielleicht war es noch zu früh, sie zu attackieren (zu früh, aber das Geld ging zur Neige), doch auf die Dauer würde sie vor einem stummen Widerstand kapitulieren. Ja, das war die richtige Methode. Und Alessandro, der schon seit einer Weile Jagd auf die Fünf machte, setzte mit den dazugehörigen à-cheval auf sie und auch noch eine gewisse Summe auf das zeite und dritte Dutzend. Kam die Fünf nicht heraus, würde er auf diese Weise, wie schon gesagt, zumindest seinen Einsatz oder in etwa seinen Einsätze herausbekommen.   Im  letzten  Augenblick schien ihm übrigens, daß es nicht gut wäre, die transversale Pleine Zehn-Zwölf ganz auszulassen. Also setzte er in der Proportion auch auf diese. Kam nun die Fünf endlich heraus, wäre sein Sieg noch weiter geschmälert, im anderen Fall würde er unweigerlich etwas wiederbekommen. Schließlich und endlich blieben nur fünf Zahlen nicht gesetzt, nämlich: die Null, die Eins, die Drei, die Sieben und die Neun.

Geworfen von dem neuen Croupier und verfolgt von vielen Blicken, wirbelte die Kugel vielleicht zehn Sekunden lang wie in einem Strudel und entzog sich dann der Sicht durch einen plötzlichen Sprung; und noch bevor das Auge sie wiederentdecken konnte, hatte sie sich bereits in dem grünen Kästchen der Null eingenistet.

Also, diese Antwort schien nun wirklich endgültig zu sein. Und doch ließ sie, abgesehen von der Tatsache, daß sie es nicht sein konnte, weil Alessandro noch ein Rest Geld verblieben war, bei genauer Überlegung noch mehr als eine Deutung offen, wenn auch rein formal. Schließlich mußte noch ein äußerster Versuch gemacht werden: man mußte alle Zahlen spielen, mit Ausnahme einer einzigen, und wenn dann ausgerechnet diese herauskam, wäre Alessandro wirklich überzeugt (aber er war ja schon überzeugt!). Sollte jetzt eine Zahl ausgeschlossen werden, dann empfahlen einfachste Logik und Erfahrung und Berechnung, eben die Null auszuschließen, die ja beim vorigen Coup herausgekommen war. Eben so verfuhr Alessandro, wobei er auf verschiedene Weise auf alle anderen Zahlen setzte. (Es braucht nicht erst erwähnt zu werden, daß dies ein Verlustspiel sein würde, doch der Versuch schien notwendig.) Und sobald die Kugel ihren diesmal matten Rundlauf begonnen hatte, trat er einige Schritte vom Tisch zurück: er wollte sie nicht mehr mit dem Blick verfolgen, wollte nicht mehr versuchen, ihr seinen Willen aufzudrängen, war sie doch so widerborstig, daß sie stets das Gegenteil von dem tat, was man von ihr forderte. Vielleicht wollte er sie auch überhaupt nicht beeinflussen, weder zum Guten noch zum Bösen. Die übrigen Spieler aber konnten beobachten, wie sie, sich fast windend und fast wider ihren Willen, alle anderen Kästchen mied und. . .

«Zero», verkündete der Croupier mit jener Art gespielter Überraschung, wie sie eben bei den Croupiers zur Erbauung und zum Trost der Spieler üblich ist, wenn es eine Wiederholung gibt. - Tommaso Landolfi, La biere du pecheur. Reinbek bei Hamburg 1994 (zuerst 1953)

 

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