Forschungsurlaub «Ich konnte kein Stipendium für die Arbeit auf meinem eigenen Gebiet bekommen; deshalb habe ich dem Ausschuß gesagt, ich würde statt dessen einen Roman schreiben. Forschungsurlaub wird sowieso nach Dienstalter gewährt, und den Ausschuß interessiert es einen feuchten Kehricht, was ich tue, solange ich irgend etwas als Projekt ins Formular schreibe. Also sagte ich, ich schreibe einen Roman, und jetzt muß ich einen schreiben, damit ich meinem Dekan etwas zeigen kann, wenn ich zurückkomme. Er braucht nicht unbedingt veröffentlicht zu werden, obwohl das schön wäre; aber ich muß zwei- bis dreihundert Seiten Prosa präsentieren.»

«Was ist Ihr Fachgebiet?»

«Äthiopische Pferdefliegen. Ich bin wahrscheinlich die einzige amerikanische Autorität in Fragen der äthiopischen Pferdefliege. Die grundlegenden Arbeiten über die äthiopischen tabanidae wurden größtenteils von Bequaret und Auston verfaßt, schon gegen Ende der zwanziger Jahre, aber diese frühen Studien waren unvollständig. Weitere Kanonen auf dem Gebiet sind Uigot, Gerstacker und natürlich Enderlein, aber es gibt immer noch eine Menge zu tun. Und viel ist in letzter Zeit nicht passiert. Das Problem, sehen Sie, besteht darin, daß diese Fliegen nach ihrem Tod eine ebensolche Plage sein können, wie sie es im Leben sind. Die Tatsache, daß die Fliege ausschließlich vermittels Aggression gefangen wird, führt bei Sammlern zu einer beklagenswerten Offenbarung von Gewalt.»

«Sie meinen, sie wird zerklatscht, wenn sie beißt?»

«Genau. Infolgedessen ist es beinahe unmöglich, eine intakte äthiopische Haematopta zu bekommen, verstehen Sie. Eigentlich wollte ich gern nach Nordäthiopien reisen und selber dort sammeln. Was man von Bildern erfahren kann, hat seine Grenzen, und oben in Gainesville habe ich nur ein halbes Dutzend präparierte Exemplare, die ich studieren kann. Man könnte ein dickes und höchst wichtiges Buch allein über die Flügel-Varianten schreiben, wenn man über Exemplare verfügen würde. Aber ich habe nur ein einziges Flügelexemplar, das halbwegs intakt ist. Ich wußte gar nicht, daß Sie sich so sehr für Pferdefliegen interessieren, Mr. Moseley.»

«Tu ich nicht. Aber ich denke mir, es muß ein wichtiges Forschungsgebiet sein.»

«Ist es, unbedingt. Eine Gruppe von tadellos erhaltenen Exemplaren existiert einfach nicht, und in den bislang veröffentlichten Untersuchungen haben wir es mit einem recht hohen Maß an Ungenauigkeit zu tun. Wie auch immer, statt nach Afrika zu reisen, sehe ich mich genötigt, einen Scheißroman zu schreiben, um ein Jahr frei zu bekommen. Bitte entschuldigen Sie — manchmal geht mir meine Zunge durch, auch wenn ich in Gegenwart von Studenten vorsichtig bin.»

«Das passiert mir auch mitunter», gab Hoke zu.

«Aber mit dem Roman komme ich voran. Ich schreibe über einen Collegeprofessor in Gainesville, einen Historiker, der eine Affäre mit einer Studentin hat - einer Zahnarzttochter aus Fort Lauderdale. Sie hat einen Teilzeitjob in einer Korbmöbelfabrik, und nachts treffen sie sich dort, um miteinander zu schlafen.»

«Hat sie schlechte Zähne?»

«Ja. Woher wissen Sie das?»

«Ich weiß nicht, aber es kommt mir so vor, als hätte ich eine solche Geschichte schon mal gelesen, in einem Taschenbuch — oder war es ein Film ?»  

«Da müssen Sie sich irren, Mr. Moseley. Dies ist eine wahre Geschichte, die auf meinen eigenen Erlebnissen beruht. Aber ich habe sie getarnt, indem ich den Helden zum Historiker statt zum Entomologen gemacht habe.» - Charles Willeford, Seitenhieb. Reinbek bei Hamburg 1996

 

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