ormlosigkeit Bei
seinem Herumspionieren und während seiner Nachtwachen im Zimmer der ›Lady‹ empfand
der Soldat keine Furcht. Er fühlte, aber er dachte nicht. Er erlebte, aber gab
sich von seinen gegenwärtigen wie von seinen früheren Handlungen keinerlei Rechenschaft.
Vor fünf Jahren hatte L. G. Williams einen Mann getötet. Bei einem Streit um
eine Schubkarre voll Dünger hatte er einen Neger erstochen und den Leichnam
dann in einem verlassenen Steinbruch versteckt. Er hatte in einem Wutanfall
zugestoßen und konnte sich noch genau an die grellrote Farbe des Blutes erinnern,
und wie schwer der schlaffe Körper ihm vorgekommen war, als er ihn durch den
Wald schleppte. Er erinnerte sich auch noch, wie heiß die Sonne an jenem Julinachmittag
gebrannt und wie es nach Staub und Tod gerochen hatte. Er hatte eine gewisse
Verwunderung und einen dumpfen Kummer empfunden, aber keine Furcht; und nie
hatte seitdem in seinem Kopf der Gedanke, er sei ein Mörder,
klare Gestalt angenommen. Der Geist ist wie ein reichverschlungenes
Gewebe, dessen Farben aus den Erfahrungen der Sinne stammen und dessen Muster
der Verstand webt. Der Geist des Soldaten Williams war voll verschiedener Farben
von oft seltsamer Tönung, aber ohne Linien und ohne Form. - Carson McCullers, Spiegelbild im goldenen Auge. Zürich 1974 (zuerst 1941)
Formlosigkeit (2)
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