lut,
sanfte
Eine kalifornische Kleinstadt am Meer aus eng beieinander stehenden Häusern,
fast alle durchsichtig, mit riesigen Fenstern, die eigentlich im Meerwind bebende
Glaswände waren, wurde überschwemmt von einer lange angekündigten, im Tageslicht
durchscheinend grünen Flutwelle, die so langsam hereinrollte, daß allen genug
Zeit blieb, sich auf höherliegendem Gelände in Sicherheit zu bringen, und die
den Meeresspiegel genau bis zu dem Haus anhob, in dem Frenesi stand und zusah.
Es gab keine Toten und Verletzten, aber die Strände, die Volleyballnetze
und die Türme der Rettungsschwimmer, die teuren Häuser und Grundstücke am Strand
und die SchifFsanleger waren verschwunden, bedeckt von der kühlen grünen Flut,
die Frenesi fast lähmte mit ihrer Schönheit und Klarheit... «Tagelang» hatte
sie kein Auge für irgend etwas anderes, während man sich rings um sie her an
die neue Küstenlinie gewöhnte und das Leben weiterging wie immer. Spät in der
«Nacht» ging sie hinaus auf die Veranda knapp über der Brandung und blickte
hinaus auf einen Horizont, den sie nicht sehen konnte, als stellte sie sich
in einen Wind, der in Wirklichkeit nichts anderes war als ihr Weg zu einem unbekannten
Ziel, und sie hörte über das Meer eine Stimme,
die ein wunderschönes Lied sang, eines, das man vielleicht nachts bekifft
irgendwann mal im Haus eines Fremden hört und dann nie mehr findet, und das
Lied erzählte von den Tauchern, die - nicht jetzt gleich, aber bald - kommen,
hinuntertauchen und alles bergen, «was uns genommen worden ist», so das Versprechen
der Stimme, «alles was verloren ist...»
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Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015
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