- Rattelschneck, Berliner Woche 20 / 14. Mai 2008
Flur (2) Eine Tür öffnet sich.
Monsieur Traum tritt in einen dunklen Flur. Er zündet ein Streichholz an und hält es an eine Kerze, die er in seiner Tasche findet.
Die Wände des Flurs sind mit Totenköpfen tapeziert.
Ein Poltern.
Ein Kopf ist herabgefallen.
Er hebt ihn auf und hängt ihn an den Nagel in der Wand. - Robert Pinget, Tintenkleckse. Monsieur Traums letztes Notizheft,
Berlin 1997
Flur (3) Wie Ich auf der Matratze im Flur liege, erstickt mich beinahe der Geruch des Insektenpulvers. Ein scharfer, beißender Geruch, der durch jede Pore meines Körpers zu dringen scheint. Das Essen fängt an, mir wieder hochzukommen - die Hafergrütze, die Pilze, der Speck, die Bratäpfel. Ich sehe den kleinen Bandwurm neben dem Obst liegen und alle die Wurmarten, die Serge aufs Tischtuch zeichnete, um zu erklären, was dem Hund fehlte. Ich sehe das leere Parterre der Folies-Ber-gere, und in jeder Ritze sind Kakerlaken, Läuse und Wanzen. Ich sehe Menschen sich verzweifelt kratzen, kratzen und kratzen, bis Blut kommt. Ich sehe die Würmer über die Bühne krabbeln wie eine Armee roter Ameisen, die alles auffressen, was ihnen in die Quere kommt. Ich sehe die Chorgirls ihre Gazetuniken wegwerfen und nackt durch die Gänge laufen. Ich sehe auch die Zuschauer im Parterre ihre Kleider abstreifen und einander kratzen wie die Affen.
Ich versuche, mich zu beruhigen. Schließlich habe ich hier ein Heim gefunden,
und jeden Tag erwartet mich eine Mahlzeit. Und Serge ist ein Goldstück, darüber
gibt's keinen Zweifel, Aber ich kann nicht schlafen. Es ist, als lege man sich
in einem Leichenschauhaus schlafen. Die Matratze ist mit Einbalsamierungsflüssigkeit
durchtränkt. Es ist ein Leichenschauhaus für Läuse, Wanzen, Kakerlaken und Bandwürmer.
- (krebs)
Flur (4) Ich suche den Lichtschalter und knipse das Licht an. Eine schmiedeeiserne Deckenlampe wirft grünliches Licht auf den leblosen Frauenkörper. Dadurch wirkt das Gesicht auch nicht gerade frischer.
Ich fühle mich sehr alleine in dem Flur. Außer dem leblosen Frauenkörper
leisten mir noch die sargförmige Standuhr, ein düsterer
Schirmständer und ein von Kleiderhaken umrahmter Spiegel Gesellschaft. Das Pendel
in der Uhr taucht bei jeder schwingenden Bewegung in das unheimliche Licht ein.
Ich stehe reglos da und lausche nervös auf irgendein menschliches oder sonstiges
Lebenszeichen. Kein Zeichen, nichts zu sehen, nichts zu hören. Draußen schnurrt
ein Motorengeräusch heran, wird lauter, verstummt. Ein Wagen hält vor dem Haus,
eine Tür knallt zu. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Das einzige, was sich
hier im Flur bewegt, ist das Pendel, das sich im Spiegel verdoppelt. Keine Schritte
kommen näher.
- Léo Malet, Wer einmal auf dem Friedhof liegt ... Reinbek bei Hamburg
1994 (zuerst 1982)
Flur (5)
Flur (6) Nichts,
niemand, Stille, es ist still, der Flur liegt still, der schwach erhellt ist
von einem gelben, gelbfahlen Licht, das dem hellbraunen Farbton der Fliesen
entspricht, mit denen der langgestreckte, schachtähnliche Flur ausgelegt ist,
aber auch dem warmen, etwas falben Braun der Wände und der Decke. Nur die Türen
rechts, links sind weiß gestrichen, doch nicht in einem grellen, leuchtenden
Weiß, sondern in dem matten, gedämpften Weißton von Elfenbein, diesem milchigen,
cremigen Anstrich, der schon leicht in ein blasses Gelb übergeht, besonders
an den Stellen, wo die Farbe dünner geworden ist durch häufiges Anfassen und
Berühren der Finger, der Hände, Hände, die anstatt die Klinke zu benutzen unterhalb
oder oberhalb die Türkante anfassen, die Tür weiter aufstoßen oder hinter sich
zuziehen oder bei einem augenblicklangen Verweilen auf der Schwelle noch dort
festhalten, verschwitzte Hände, Innenflächen, Finger, deren feiner, grauer Schweißabdruck
dann später zu sehen ist, so daß um das Türschloß und an eben dieser Kante entlang
durchsichtige, dünne Streifen aus Plastik genagelt sind, die sich auch leichter
abwaschen lassen. Die Türen, die in gleichmäßigen Abständen einander gegenüberliegen,
sind geschlossen bis auf die am Anfang des Flurs, gleich hinter der großen,
breiten, die ganze Breite des Flurs einnehmenden Flügeltür, einer Schwungtür,
die den Gang vom Treppenhaus und dem Hauptflur trennt. Durch die aufstehende
Tür fällt helleres Licht auf den Boden, läßt die gewachsten Fliesen des Fußbodens
öliggelb schimmern, was vom Ende des Flurs her aussieht, als habe sich eine
gelbe, fettige Lache dort ausgebreitet, ein Fleck, der glänzt, zu dem er hinüberstarrt,
ohne sofort zu begreifen, daß da niemand ist und gar nicht gewesen sein kann.
Als er vorhin mit ihr an der Tür vorübergegangen ist, den Flur entlang auf den
Tisch zu, an dem er nun sitzt, allein, alleingelassen, zurückgelassen in dem
nervösen Warten, in dem er sich, je länger das dauert und sich ausdehnt, je
länger dieses stumme, unangenehme Warten zu einer Dauer wird, die ihn festhält,
mehr und mehr überflüssig vorkommt, bloßgestellt und lächerlich, peinlich berührt
von dieser Lächerlichkeit, diesem Bild, das er abgibt, zu dem er geworden ist
in dem Augenblick, da sie aufstand und hinging zu der Frau in dem weißen Kittel,
die aus einer Tür in der Mitte des Flurs trat und sie heranwinkte, die mit ihr
dann in dem Zimmer verschwand, fast geräuschlos die Tür hinter sich schloß,
die sich schloß mit einem leisen, leicht zu überhörenden Saugen,
dem Saugen von zusammengepreßtem Gummi, Schaumgummi, mit dem die Innenseite
des Rahmens und die Kanten der Tür gepolstert sind, das gut abdichtet und kaum
Geräusche, weder von innen noch von außen durchläßt und ein lautes Zufallen
und Zuschlagen verhindert, statt dessen nur jenes wattige, wattigweiche Saugen
verursacht, das nicht stört. - Rolf Dieter Brinkmann, Der Riß. In:
R. D. B., Erzählungen. Reinbek bei Hamburg 1985
Flur (7) Von
einer düsteren Faszination verleitet, lief sie zur Tür, öffnete sie sachte...
ganz sachte... und biß sich beim Drücken der Klinke auf die Zunge. Ihr kam jene
merkwürdig stickige Geruchsmischung entgegen, die ein Schlafzimmerflur in einem
kleinen Gasthof immer ausdünstet. Der Flur war auch von jenem besonderen Morgenlicht
erfüllt, das überhaupt nichts mit der Sonne zu tun zu haben scheint und das
wie aus einem Speicher bleicher, irdischer Leuchtkraft kommt, die weder natürlich
noch künstlich und dennoch ein Licht ist, welches besonders Gasthoffluren eigen
ist, wenn nur der Stiefeljunge und das älteste Hausmädchen auf sind und ein
Geruch nach Zigarrenrauch und altem Käse durchs Treppenhaus
zieht. - (cowp)
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