lugpionier
Ernst wurde es mit der Fliegerei erst mit dem Auftauchen der beiden Melancholiker
Orville und Wilbur. Otto Lilienthal, dieser Spaßmacher
und Sanguiniker, pendelte mit den Beinen in der Luft; ständig im Begriff tödlich
abzustürzen, flog er Parenthesen zwischen zwei Atemzügen einer staunenden, stetig
anwachsenden Menge, ein Gedankenakrobat, der als erster feststellte, daß Sterben
und Fliegen eins sind. An ihrem Ursprung ist die Geschichte
der Luftfahrt noch voller Schamgefühl, sie schickt einen Spaßmacher vor, dessen
Fliegekunst aus lauter Fehlleistungen besteht, Lilienthal schlägt Volten, verheddert
sich, fliegt immer weiter als er denkt. Erst als sie sicher sein können, daß
niemand mehr lacht, führen die Wnghts der Öffentlichkeit ihr Flugzeug vor, das
sie als Käfig entworfen haben, noch traumatisiert von den Vorführungen des Flugnarren,
ziehen sie als erstes die Extremitäten ein, die pendelnden Beine, angeblich
weil diese die Flugsicherheit gefährdeten. Die Wrights bauen dem Tod durch Lächerlichkeit
vor, indem sie den Aufenthalt in der Luft einerseits sukzessive verlängern —
denn in der Kürze der Lilienthalschen Fliegekunststücke liegt ein wichtiges
Element ihrer Lächerlichkeit-, andererseits ist ihr Kalkül ein geschlossenes,
so daß jeder ihrer Flüge, wie die Sätze der Melancholiker, schon immer im voraus
bedacht und abgewogen ist.
- Martin Roda Becher, Im Windkanal
der Geschichte. In: Phantastische Welten, Hg.
Franz
Rottensteiner. Frankfurt am Main 1984
Flugpionier (2)
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