laute   Als wir schließlich auf der Breite des Kaps waren, steuerten wir südwärts, um einen weiten Bogen darum zu schlagen, und dabei gerieten wir in eine Flaute. Ja, eine Flaute auf der Höhe von Kap Hoorn, das ist schlimmer, weit schlimmer, als am Äquator in einer Windstille zu liegen.

Hier lagen wir achtundvierzig Stunden lang wahrend einer eisigen Kälte. Ich staunte über die flüssige See, die bei dieser Temperatur nicht gefrieren wollte. Der klare kalte Himmel über uns glich einer stahlblauen Zymbel, die erklingen würde, könnte man sie anschlagen. Unsere Atemzüge kamen und gingen wie Rauchwolken aus Pfeifenköpfen. Zuerst lief eine lange schwerfällige Dünung, die uns zwang, die meisten Segel zu bergen und sogar die Bramrahen herabzulassen, weil wir fürchteten, sie könnten über Bord gehen.

Außer Sichtweite des Landes, an dieser Grenze zwischen der bewohnbaren und der unbewohnbaren Welt, glich unsere bemannte Fregatte, die widerhallte von den Stimmen der Männer, dem Blöken der Lämmer, dem Gackern des Geflügels und dem Grunzen der Schweine, Noahs alter Arche selbst, die auf dem Höhepunkt der Sintflut in einer Flaute lag.

Da war nichts weiter zu tun, als geduldig zu warten, bis es den Elementen gefiel, und „nach einem Wind zu pfeifen", das übliche Verfahren der Matrosen bei einer Windstille. Kein Feuer war erlaubt, abgesehen von dem unumgänglichen Zweck des Kochens und des Erhitzens von Wasserflaschen, mit denen der Wantstropp seine Füße wärmte. Wer den größten Vorrat an Lebenskraft besaß, hatte die beste Aussicht, dem Erfrieren zu entgehen. Es war schrecklich. Bei einem solchen Wetter hätte man sich ohne Mühe amputieren lassen können und selbst geholfen, die Arterien abzubinden.  - (weiss)

Flaute (2)  Offenbar war das Schiff viele Tage in den Stürmen bei Kap Horn umhergeworfen worden, und dann brach der Skorbut aus und raffte eine große Anzahl der Weißen und Schwarzen hinweg. Als sie sich schließlich um das Kap herum in den Pazifik hineingemüht hatten, waren ihre Rahen und Segel so beschädigt und wurden von den überlebenden, größtenteils invalide gewordenen Matrosen so ungenügend bedient, daß das Schiff bei dem heftigen Wind nicht in der Lage war, seinen Nordkurs zu halten, und viele Tage und Nächte lang nach Nordwesten abgetrieben wurde, wo sich in unbekannten Gewässern die Brise plötzlich legte und einer schwülen Flaute wich. Jetzt machte sich das Fehlen der Wasserfässer für die Erhaltung des Lebens ebenso verhängnisvoll bemerkbar, wie ihr Vorhandensein es vorher gefährdet hatte. Verursacht oder doch wenigstens gefördert durch die mehr als dürftigen Wasserrationen, folgte auf den Skorbut ein bösartiges Fieber, das bei der außerordentlichen Hitze in der langandauernden Flaute so kurzen Prozeß machte, daß es wie eine Woge unter den Afrikanern ganze Familien und von den Spaniern eine im Verhältnis noch größere Zahl, darunter durch ein unglückliches Verhängnis alle an Bord übriggebliebenen Offiziere, hinwegraffte. Später gerieten bei dem auf die Flaute folgenden steifen Westwind die bereits gerissenen Segel, die man einfach hängen lassen mußte und nicht, wie es die Lage erforderte, beschlagen konnte, nach und nach in den Zustand bettelhafter Lumpen, in dem sie sich jetzt befanden. Um sich Ersatz für seine verlorenen Seeleute wie auch Vorräte an Wasser und Segeln zu beschaffen, hatte der Kapitän so bald wie möglich Kurs auf Baldivia, den südlichsten zivilisierten Hafen von Chile und Südamerika, genommen, aber bei der Annäherung an die Küste hatte ihn das unsichtige Wetter daran gehindert, den Hafen zu finden. Seit diesem Zeitpunkt war die „San Dominick", fast ohne Mannschaft, fast ohne Segel und Wasser und, wahrend sie von Zeit zu Zeit ihre weiteren Toten der See übergab, von widrigen Winden umhergeworfen, von Strömungen verschlagen oder in Flauten bewachsen und wie ein Mensch, der sich im Walde verirrt, mehrmals wieder auf ihren eigenen Kurs geraten.   - Herman Melville, Benito Cereno. In: H. M., Redburn. Israel Potter. Sämtliche Erzählungen. München 1967 (zuerst 1849)

Flaute (3)  Ehe die Flaute uns verließ, wurde in großer Entfernung, etwa drei Seemeilen oder noch weiter, vom Vortopp ein Segel ausgemacht. Zuerst war es nur ein Pünktchen, das man vom Deck aus überhaupt nicht sehen konnte. Infolge der Anziehungskraft oder durch sonst etwas Unerfindliches treiben zwei Schiffe in einer Flaute und unter der gleichen Wirkung einer Strömung stets mehr oder weniger aufeinander zu. Obgleich kein Windhauch wehte, dauerte es nicht lange, bis das fremde Segel von unserem Schanzkleid aus zu sehen war. Langsam kam es immer näher.

Wer war es, und woher kam es? Es gibt nichts, was das Interesse und die Phantasie so weckt und gleichzeitig beides so täuscht wie ein Segel, das man nur als Punkt in diesen abgelegenen Gewässern bei Kap Hoorn sichtet. - (weiss)

 

Windstille

 

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