Flaschenpfand   Es ist möglich, sagt Madame Juliette, daß es vom Trinken kommt. Überall rote kleine Autos zu sehen ist sicher nicht normal. Aber das komme nur vom Trinken. Und wenn die anfangen wollen, alle die einzusperren, die trinken, dann wäre es vernünftiger, Kliniken für Abstinenten zu bauen, das käme billiger. Sie habe sich auch gewundert, daß der Zwerg zu trinken begann. Vor einem Jahr schon, aber sicher seit Frühjahr. Er, der sonst immer vor den Bistros saß, begleitete plötzlich die Männer in die Bars, und die Männer stellten ihn auf einen Barstuhl, und er habe auf die Theke geklopft mit seiner Faust, sie sei einmal zusammengefahren, so habe es gedröhnt.

Sie sei erst dazugekommen, wie der Zwerg am Boden lag, stellt Madame Giraud fest. Jedenfalls wisse man jetzt, woher das Geld gekommen sei. Sie habe trotzdem Mitleid gehabt, wie der Zwerg mitten in den Scherben lag. Wer hätte gedacht, daß er Milchflaschen stahl und mit dem Pfandgeld die andern einlud. Aber so was komme immer raus. Die Kinder hätten den Zwerg nur zum Spaß gejagt, und schon sei er gestolpert, und die Flaschen, die er unter dem Hemd trug, hätten einen Scherbenregen ergeben, nicht nur an den Händen habe der Zwerg geblutet, das seien mindestens vier Flaschen gewesen. Sie habe gleich gedacht, daß etwas geschehe, als der Vater dazukam und zuschaute, wie der Zwerg die Scherben sammelte und sie in der Hosentasche versteckte, obwohl so viele um ihn standen. Sie verstehe, daß man einen Sohn strafe, aber der Vater hätte es bei einer Ohrfeige lassen können und nicht noch mit dem Fuß treten müssen, mitten ins Gesicht. Sie sei überzeugt gewesen, der Zwerg schlage zurück, und sie habe sich gewundert, wie der Zwerg sich auf die Zehenspitzen stellte und dem Vater seine Faust entgegenhielt und »Krüppel« schrie.

Nachdem der Zwerg sich unter der Treppe verkrochen hatte, habe sie ihn nicht mehr gesehen. Von dort hätten sie ihn heute früh geholt.

Madame Juliette fügt bei, sie sei am Fenster gestanden. Sie sei wachgeworden, weil sie ein Auto hörte, und habe bereits eine Schüssel mit Wasser bereitgehalten, um die Ruhestörer zu vertreiben. Aber dann habe sie alles beobachtet. Zu dritt seien sie gekommen, und sie hätten den Zwerg aus dem Verschlag herausgezerrt. Die Nacht sei voll Leuchtwürmer gewesen und laut vom Gequake der Frösche, dann aber habe der Zwerg geschrien: Sie hatten ihm den Mund zu spät gestopft.  - Hugo Loetscher, Der Zwerg. In: H. L., Der Buckel. Zürich 2004

 

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