Fischerdorf    Cézanne verbrachte die Kriegszeit malend in L'Estaque, das damals ein Fischerdorf in einer Bucht westlich von Marseille war und heute zur industrialisierten Großstadt-Banlieue gehört.

Ich kenne den Ort nur von Cézannes Bildern. Doch schon der bloße Name L'Estaque macht mir eine Friedensvorstellung räumlich. Die Gegend, was auch aus ihr geworden ist, bleibt »der Ort und die Stelle der Verborgenheit«; nicht nur vor jenem Krieg von 1870, nicht nur für den Maler von damals, und nicht nur vor einem erklärten Krieg. Cézanne hat ja in den Jahren danach noch oft dort gearbeitet, mit Vorliebe in der starken Hitze und einer »so fürchterlichen Sonne«, daß ihm schien, »als ob alle Gegenstände sich als Schatten abhöben, nicht nur in Schwarz oder Weiß, sondern in Blau, Rot, Braun und Violett«. Die Bilder der Versteckzeit waren fast schwarzweiß gewesen, hauptsächlich Winterstimmungen; danach aber wurde ihm der Ort, mit den roten Dächern vor dem blauen Meer, allmählich zu seinem »Kartenspiel«.

In den Briefen aus L'Estaque kam es dann auch das erste Mal vor, daß er seinem Namen das Wort »pictor« hinzufügte, wie einst die klassischen Maler. Es war der Ort, »von dem ich mich so spät als nur irgend möglich entfernen werde, denn es gibt hier einige sehr schöne Aussichten«. Keine Stimmungen mehr sind in den Nachkriegsbildern, und keine besonderen Tages- oder Jahreszeiten: energisch zeigt die Form immer wieder das Elementardorf am Ruhigblauen Meer. Gegen die Jahrhundertwende entstanden um L'Estaque die Raffinerien, und Cézanne hörte auf, den Ort zu malen; in ein paar hundert Jahren werde es überhaupt völlig sinnlos sein, zu leben.   — Peter Handke, Die Lehre der Sainte-Victoire. Frankfurt am Main 1984 (zuerst 1980)

Fischer

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