»Der Rumpf ist gefunden!« verkündete er und war aufgeregt.
»Nicht der Kopf?«
»Noch nicht. Viktor behauptete, das sei schwieriger, des Gewichts wegen. Der Kopf sei sicher tiefer in dem Schlamm versunken. Er hat auch eine leere Brieftasche und eine Damenhandtasche gefunden.«
»In der Nähe des Rumpfes?«
»Nein. Ziemlich weit davon ab. Es scheint da kein Zusammenhang
zu bestehen. Er sagt immer, jedesmal wenn er in den Kanal tauche,
könne er soviel mit heraufbringen, daß er einen ganzen Stand
auf dem Flohmarkt aufbauen könne. Kurz bevor er den Rumpf gefunden
hat, hat er ein Gitterbett und zwei Toiletteneimer herausgeholt.«
- Georges Simenon, Maigret und der Kopflose. München
1921 (Heyne Simenon-Kriminalromane 13, zuerst 1955)
- Alain
Robbe-Grillet, Die blaue Villa in Hongkong. München 1969 (dtv 548, zuerst
1965)
Finden (3) Er wollte noch eine letzte Zigarette vor dem Essen rauchen, merkte aber, daß er irgendwo das Päckchen liegengelassen hatte, vielleicht im Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch fand er die Zigaretten nicht. Und doch schien es mir so; ob sie in der Schublade sind? Er öffnete die Schublade und fand sie auch hier nicht.
Aber sein Blick fiel auf den Revolver, den er da liegen hatte: einen alten kleinen Trommelrevolver, der einen schwachen Glanz von sich gab.
Und während er ihn ansah, schien ihm plötzlich sein ganzes Leben eine endgültige und einfache Richtung zu bekommen; so einfach und so endgültig wie das, was er jetzt gleich zu tun hatte. Er nahm den Revolver und drehte an der Trommel: es fehlte kein einziger Schuß, man brauchte nur auf den Abzug zu drücken.
Wie einer, der etwas Alltägliches tut, das keiner besonderen Überlegung bedarf,
weil dessen Sinn ohnehin klar ist, hob er den Revolver, hielt ihn an seine Schläfe
und drückte ab. - Tommaso Landolfi, Der Vormittag des Schriftstellers,
nach (
land
)
Finden (4) Die beiden vor der Haustür, ein jeder
im Aufbruch., ein jeder in eine andere Richtung. Er: »Du bist die geborene Finderin.
Noch nie ist mir jemand begegnet, der findet wie du: ohne zu suchen. Wie machst
du das?« Sie, Belehrung spielend: »Nicht den Platz fixieren, an welchem vermutlich
etwas verlorengegangen ist. Vielmehr: woandershin schauen, auch hinauf zum Himmel
- denn danach zeigt sich das Nähere, das am Boden, umso schärfer. So schauen
nicht im Stillstand, sondern in der Bewegung, im Gehen. Und am klarsten lassen
die Dinge sich dann sehen, sooft du so im Gehen auf dem Fuß umkehrst, klar und
vor allem farbig - in den Umkehrfarben. Und in den Umkehrfarben, da wird es
dann warm werden, wärmer, heiß, ganz heiß. Und finden wirst du dein dir entfallenes
Ding kaum in dem angegebenen Umkreis, sondern eher nebenan, oder eher weiter
weg, und noch weiter. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm? Weit vom Stamm fallen
manche Äpfel. Weit. So weit.« Sie war dabei in einen Singsang gekommen, und
endlich, ohne Übergang, in einen Gesang, und er sagte darauf: »Eine Sängerin
im Haus, das habe ich mir manchmal vorgestellt.« - Sie: »Und wie war die Vorstellung?«
- Er: »Schön. Nur hat diese Sängerin in meiner Vorstellung nie gesungen - jedenfalls
nicht hier im Haus.« Unversehens zog sie darauf einen Dolch. Einen Dolch? Ja.
Aber es war nur zum Schein. Sie wird ihn wieder einstecken. Und er dann: »All
die Zeit, Jahre, Jahre habe ich gedacht, ohne zu wissen, wen ich damit meinte:
Finde mich! Finde mich! Warum findest du mich nicht? Und jetzt hast du mich
gefunden. - Und das verlorene Kind? Warum hast du dich nicht schon längst auf
die Suche gemacht?« - Und sie, wieder in ihrem Sing-Spiel: »Das Finden, es geschieht
entweder im Augenblick, im Handumdrehen, oder erst viel, viel später! In der
Zwischenzeit: kein Finden möglich. Zwischenzeit, Schreckenszeit, Zeit der Verlorenheit,
der allgemeinen. Keine andere Möglichkeit, als das Suchen zwischenzeitlich zu
vergessen. Nichtfinden reinigt. Zwischenzeit, Reinigungszeit!« -
Peter Handke, Kali. Eine Vorwintergeschichte. Frankfurt am Main 2008
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