iffi     Den bei weitem schlechtesten Ruf genoß die Tochter eines Architekten, und was sie betraf, war die ganze Klasse einer Meinung. Rückblickend glaube ich, daß sie höchstwahrscheinlich eine Affäre mit einem dunklen und ziemlich verweichlichten Jüngling mit einem italienischen Namen hatte, der in derselben Schule eine andere Klasse besuchte. Damals fand ich dieses schlüpfrige Gerede widerlich und war zugleich stark von dieser Person fasziniert, die — kein Rauch ohne Feuer — offensichtlich jene Art der Sünde verkörperte, die ich liebend gern erlebt hätte.

Die Mädchen kamen zur selben Zeit aus der Schule wie wir, und die Ströme, die sich dann aus verschiedenen Richtungen über dieselbe Straße ergossen, mischten sich aufs angenehmste. Bald war es mir vergönnt, einen Blick auf Fiffi zu erhäschen — ihr richtiger Name lautete Irmgard —, und sie war tatsächlich umwerfend: Ihre Haare waren brünett, ihr Gesicht blaß, mit einer niedrigen Stirn, sehr geraden Nase und tiefliegenden braunen Augen, die äußerst ausdrucksvoll waren, denn es lag in ihnen gleichzeitig Sehnsucht und Verachtung. Ihr Hals war eigentlich zu kurz, aber ihr heranwachsender Körper war herrlich geformt, und sie wußte das. Ich fand sie so ungeheuer überlegen, daß ich mich sofort als ihr Sklave fühlte, obgleich meine Haltung gegenüber meinen Klassenkameraden die eines Ritters war, der seine Angebetete gegen ihre Lästerzungen verteidigt. Ich glaube, ich ging sogar so weit, mich mit einem der anderen Jungen zu schlagen, was mir — als wahrem Don Quijote — in meinen Augen ein gewisses Recht gab, wenigstens die Bekanntschaft des Fräuleins zu machen, in dessen treue Dienste ich mich gestellt hatte. Das war offensichtlich nicht Fiffis Meinung, die mich, ob sie nun von meiner Tat erfahren hatte oder nicht, im höchsten Maße lächerlich fand.  - Julius Posener, Heimliche Erinnerungen. In Deutschland 1904 bis 1933. München 2004

 

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