Fetischverehrung    Er versuchte zu analysieren, welche Art von Philosophie während all der normalen Stunden, da seine „Mythologie" — sein geheimes geistiges Laster — still lag, in ihm war. Er tappte in seinem Geiste umher nach irgendeiner Spur, die zu seiner normalen Einstellung zum Leben führte — nach irgendeinem Schlüsselwort, das er verwenden konnte, um sie zu beschreiben, wenn einer seiner neuen Bekannten beginnen sollte, ihn zu befragen; und das Wort, auf das er schließlich geriet, war das Wort Fetischverehrung. Das war's! Seine normale Einstellung zum Leben war eben dies — oder näher eben diesem als irgendeinem anderen Begriff! Es war eine Verehrung all der abgesonderten, mysteriösen, lebenden Seelen, denen er nahekam: der „Seelen" von Gräsern, Bäumen, Steinen, Tieren, Vögeln, Fischen; der „Seelen" der Planetenkörper und der Körper von Männern und Frauen; ja sogar der „Seelen" allerlei unbelebter Heiner Dinge; der „Seelen" aller jener seltsamen chemischen Verbindungen, die Häusern, Städten, Orten, Landschaften eine lebende Persönlichkeit verleihen ,..

„Bin ich auf irgendeine erschreckend unheilbare Art unmenschliche" dachte er. „Ist mir die Zuneigung, die ich für menschliche Wesen fühle, weniger wichtig als die Schatten der Blätter und das Fluten der Wasser?"

Er blickte unverwandt auf die Fensterbretter, über denen die Quasten der Jalousieschnüre in den feuchten Windstößen hin und her schwankten. Er dachte an die groteske und besessene Gestalt Selena Gaults, wie sie Wegerich von seines Vaters Grab ausriß. Nein! Was immer diese Fetischverehrung sein mochte, sicherlich war sie von „Liebe" unterschieden. Liebe war eine besitzheischende, fiebrige, anspruchsvolle Gemütsbewegung. Sie verlangte Erwiderung. Sie forderte gegenseitige Aktivität. Sie zog Verantwortlichkeit nach sich. Das aufregende Entzücken, mit dem er unter gewissen Voraussetzungen das Gesicht seiner Mutter zu betrachten pflegte, die tiefe Befriedigung, die er aus dem Anblick Miss Gaults und ihrer Katzen geschöpft, das Vergnügen, mit dem er die blauen Augen und den Spitzbart Darnley Otters betrachtet hatte — diese Dinge hatten nichts in sich, was besitzheischend oder verantwortlich gewesen wäre. Und doch hatte er alle Gedanken an sich selbst verloren, während er diese Dinge beobachtete, genauso, wie es zu geschehen pflegte, wenn er die moosbewachsenen Wurzeln der Kastanien und Maulbeerbäume in den Alleen von Hampton Court betrachtet hatte. Da schien es ihm, daß das, was er sowohl für Dinge wie auch für Menschen fühlte, wenn er sie unter bestimmten Beleuchtungen sah, eine Art triumphierender Vermengung von Vision und Sympathie war. Ihre Schönheit hielt ihn in magischer Verzauberung; und zwischen seiner Seele und der „Seele" dessen, was er eben zufällig gerade betrachtete, schien eine schwankende und subtile Gegenseitigkeit hergestellt zu sein.     - John Cowper Powys, Wolf Solent. Wien u. Hamburg 1986 (zuerst 1929)

Fetischismus Verehrung

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