Um daher eine Analogie zu finden,
müssen wir in die Nebelregionen der religiösen
Welt flüchten. Hier scheinen die Probleme des menschlichen Kopfes mit eigenem
Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende
selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen
Hand. Dies nenne ich Fetischismus, der den Arbeitsprodukten
anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der
Warenproduktion unzertrennlich ist. - Karl Marx, nach (
bar
)
1. bis 9. Tausend, April 1993. Einmalige, limitierte Ausgabe im Buchdruck vom Bleisatz.
ISBN 3-8218-4100-1. Printed in Germany. - Impressum zu:
Wolfram von Eschenbach, Parzival. Frankfurt am Main 1993 (zuerst ca. 1200,
Übs. Peter Knecht. Die Andere Bibliothek 100)
Fetisch (3) Quoin, einer der Konstabelmaate, hatte Augen wie ein Frettchen. Quoin war ein alter Kriegsschiffsmann, keine fünf Fuß groß, mit einem Gesicht wie eine vernarbte Schußverletzung. Er war unermüdlich in der Ausübung seiner Pflichten, die in der Aufsicht über eine Abteilung von zehn Geschützen der oben erwähnten Vierundzwanzigpfünder bestand. In regelmäßigen Abständen gegen die Bordwand des Schiffes aufgereiht, glichen sie nicht wenig einem Gestüt von Schlachtrossen in ihrem Stall. In diesem eisernen Gestüt lief der kleine Quoin dauernd umher, striegelte sie hin und wieder mit einem alten Lappen oder hielt ihnen mit einem Wedel die Fliegen ab. Für Quoin schien die Ehre und Würde der Vereinigten Staaten von Amerika unlöslich davon abzuhängen, daß er seine Kanonen sauber und glänzend hielt. Dadurch, daß er sie dauernd pflegte und sie mit schwarzer Farbe abrieb, war er selbst schwarz wie ein Schornsteinfegermeister. Bisweilen stieg er aus den Stückpforten hinaus und schaute ihnen in die Mündungen wie ein Affe in eine Flasche. Oder wie ein Zahnarzt schien er ihre Zähne untersuchen zu wollen. Ebensooft reinigte er ihre Zündlöcher mit einem kleinen Wergwisch, so wie ein chinesischer Barbier in Kanton einem Kunden die Ohren reinigt.
So groß war seine Gewissenhaftigkeit, und es war tausendfach schade,
daß er sich nicht in einen Zwerg verwandeln und
in die Zündlöcher hineinschlüpfen konnte, um das ganze Innere des Rohres
nachzuprüfen und schließlich an der Mündung wieder herauszukriechen. Quoin
schwor bei seinen Kanonen und schlief neben ihnen. Wehe dem Mann, den er
dabei erwischte, daß er sich dagegenlehnte oder sie beschmutzte! Er schien
von der verrückten Vorstellung besessen, seine vierundzwanzigpfündigen
Lieblinge seien zerbrechlich und könnten wie gläserne Retorten in Stücke
gehen. - (weiss)
Fetisch (4) »Dort«, sagte der Dämon, »sehe ich in
den Armen des Schlafs einen Mann, den ich sehr gern habe und der auch mir zugetan
ist; ein Herrchen ganz nach meinem Herzen. Es ist ein alter Bakkalaureus, und
der Gott, den er anbetet, ist das schöne Geschlecht. Sobald Ihr ihm von einer
hübschen Dame erzählt, könnt Ihr Freude und Wohlgefallen
aus seinen Augen leuchten sehen. Sagt Ihr ihm, sie habe einen zartgeschnittenen
Mund, rosenrote Lippen, Zähne von Elfenbein und eine Haut wie Alabaster; kurz,
malt Ihr ihm die Schöne Zug für Zug, dann seufzt er bei jedem Zuge, verdreht
die Augen, die Wollust treibt ihm das Blut schneller durch die Adern. Vor zwei
Tagen kam er in der Alcalastraße am Laden eines Frauenschusters vorbei. Auf
einmal blieb er stehen, um einen kleinen Pantoffel zu betrachten, der ihm in
die Augen stach. ›Ach!‹ sagte er, nachdem er ihn mit überflüssiger Aufmerksamkeit
lange beschaut hatte, mit schmachtendem Tone zu einem Herrn, der bei ihm stand:
›Ach, mein Freund, dieser allerliebste Pantoffel beflügelt meine Phantasie!
Laßt uns geschwind weitergehen, dieser Anblick macht mich ganz wollüstig.
Eine gefährliche Straße das!‹« - Alain René Lesage, Der Hinkende Teufel. Nördlingen
1987 (Greno 10/20, zuerst 1707)
Fetisch (5) Wenn es zutrifft, daß V. hinter ihrem Fetischismus eine Spur der Verschwörung gegen die beseelte Welt vermutete, eine unvermittelt entstandene Organisation des Reichs des Toten, dann mag dies die im »Rusty Spoon« oft gehörte Ansicht bekräftigen, daß Stencil in ihr seine eigene Identität suchte. Doch sie war davon so hingerissen, daß Melanie ihre Identität im seelenlosen Spiegelbild gesucht und gefunden hatte, daß sie, von der Liebe aus dem Geleise geworfen, auch weiterhin nicht darüber nachdachte; daß sie sogar vergaß, daß hier, zwischen Sofa, Bett und Spiegeln, kein Stundenplan mehr galt, daß ihre Liebe eigentlich nichts anderes war als eine Abart des Tourismus; denn wie die Touristen in eine Welt, die sich selbständig entwickelt hatte, Teile einer anderen bringen und gelegentlich in manchen Städten eine eigene Gesellschaft neben der bestehenden begründen, so dringen Fetisch-Gebilde wie jenes von V. in das Reich des Todes ein; was man auch als eine Art von Infiltration betrachten kann.
Wie würde sie gehandelt haben, hätte sie es gewußt? Wieder eine Frage, die
nicht beantwortet werden kann. Letzten Endes hätte es sicher ihren Tod bedeutet:
durch diese unvermittelt entstandene Organisation des Reichs des Todes, trotz
aller Versuche, ihm auszu-weichen. Die geringste Kleinigkeit - auf jeder Etappe:
Kairo, Florenz, Paris - ihrer Beteiligung an der umfassenderen Konspiration,
die letztlich zu ihrer eigenen Zerstörung führte: hätte sie etwas gespürt, wäre
sie zurückgeschreckt, hätte sich so vielen Selbstkontrollen unterworfen, daß
sie - für Freudianer, Verhaltensforscher, Kirchenleute und so weiter - zu einem
vollkommen determinierten Organismus geworden wäre, zu einem Automaton, kunstvoll
aus menschlichem Fleisch konstruiert. Oder hätte sich statt dessen gegen den
oben beschriebenen Prozeß aufgelehnt, gegen das, was wir puritanische Lebensweise
nennen, wäre tiefer in das Land des Fetischismus gezogen, bis sie vollkommen
und wirklich - nicht nur im Liebesspiel mit Melanie - zu einem unbeseelten Ziel
der Sehnsucht geworden wäre. Stencil ließ sich sogar einmal von seiner Akkuratesse
in einen Tagtraum treiben, versuchte, sich vorzustellen, wie sie heute, als
Sechsundsiebzlgjährige, wohl aussehen würde: mit frischer Haut, hier und da
vielleicht ein neues Stück glänzenden Plastikmaterials; zwei Glasaugen,
die jetzt jedoch fotoelektrische Zellen enthielten, von denen aus Sehnerven
aus reinstem Kupfer über Silberelektroden in ein Gehirn führten, das nicht delikater
hätte konstruiert sein können. Solenoidische Relais waren ihre Ganglien, automatische
Spannvorrichtungen bewegten ihre makellosen Glieder, eine Herzpumpe aus Platin
war das Zentrum eines hydraulischen Systems, das eine Flüssigkeit durch Adern
und Venen aus Butyrat trieb. Vielleicht - Stencil dachte manchmal ebenso gemein
wie jeder andere der »Bande« - gab es sogar ein kompliziertes System von Energieumwandlern,
das in einer herrlichen Polyäthylenvagina eingebaut war; alle Zeiger der dort
montierten Wheatstonebrücke mit einem silbernen Draht verbunden, der die Lustspannungen
direkt in die entsprechenden Register ihres Elektronenrechners im Schädel leitete.
Und wann immer sie lächelte oder in Ekstase ihr Gesicht zu einer Grimasse verzog,
würde der krönende Abschluß der Konstruktion sichtbar werden: Eigenvalues kostbare
Prothese. -
(v)
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