eldforschung  Es gab da einen Gentleman aus Dublin, der das Land bereiste und am Gaelischen überaus interessiert war. Dieser Gentleman hatte vernommen, daß in Corkadoragha Menschen lebten, die in jeder anderen Gegend des Landes unübertroffen waren, und ferner, daß es ihresgleichen nie wieder geben würde. Er besaß ein Instrument namens Grammophon, und dieses Instrument war dazu in der Lage, sich alles, was es hörte, zu merken, wenn ihm jemand Geschichten oder alte Sagen erzählte; es konnte ebenfalls alles, was es gehört hatte, ausspucken, wann immer dies jemandem beliebte. Es war ein Instrument voller Wunder und erschreckte viele Leute in unserem Gebiet und raubte anderen die Sprache; es ist zweifelhaft, ob es seinesgleichen je wieder geben wird. Da die Menschen glaubten, es bringe Unglück, war es für den Gentleman eine schwere Aufgabe, bei ihnen Folklore-Geschichten zu sammeln.

Aus diesem Grunde unternahm er auch niemals den Versuch, die Folklore unserer Alten und Vorfahren zu sammeln, wenn nicht die Dunkelheit sich schützend gesenkt hatte und sowohl er als auch sein Instrument im Ende einer Hütte verborgen waren, in welchem beide angestrengt lauschten. Es war offenkundig, daß es sich bei ihm um eine wohlhabende Person handelte, gab er doch jede Nacht größere Beträge für geistige Getränke aus, um die Scheu und Unfähigkeit von den Zungen der alten Leute zu verscheuchen. Im gesamten Landstrich genoß er diesen Ruf, und sowie bekannt wurde, daß er Jimmys oder Jimmy Tim Pats Haus einen Besuch abstatten wollte, hastete jeder alte Knabe, der im Umkreis von fünf Meilen wohnte, dorthin, um sich von der zungenlösenden feurigen Medizin etwas zuteil werden zu lassen; hierzu muß angemerkt werden, daß auch viele jüngere Leute sie begleiteten.

In der Nacht, von der die Rede ist, befand sich der Gentleman im Hause von Maximilian O'Penisa, und zwar still in die Finsternis geduckt, die Gehör-Maschine neben sich. Es hatten sich mindestens hundert alte Knaben um ihn gesammelt, und sie saßen, stumm und unsichtbar, im Schatten der Wände und ließen die Flaschen mit dem geistigen Getränk des Gentlemans von Hand zu Hand wandern. Manchmal war über einen kurzen Zeitraum hinweg ein schwaches Wispern zu hören, aber im allgemeinen bestand das einzige Geräusch aus dem Brüllen des Wassers, das draußen aus den düstern Himmeln herniederfiel, ganz so, als leerten jene dort oben Kübel voll übler Nässe über die Welt aus. Wenn es den geistigen Getränken gelang, die Zungen der Männer zu lösen, so war das Ergebnis nicht etwa flüssiges Sprechen, sondern ein Rollen und Lecken, um die gleißenden Tropfen der geistigen Getränke noch besser erschmecken zu können. Auf diese Weise verging die Zeit, und so wurde die Nacht immer später. Die lastende Stille drinnen und das Summen, das draußen der Regen verursachte, entmutigten den Gentleman ein wenig. Er hatte in jener Nacht kein einziges Kleinod unserer Alten sammeln können, stattdessen aber geistige Getränke im Werte von fünf Pfund nutzlos verloren. - Flann O'Brien, Irischer Lebenslauf. Eine arge Geschichte vom harten Leben. Herausgegeben von Myles na Gopaleen. Aus dem Irischen ins Englische übertragen von Patrick C. Power. Aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Harry Rowohlt. Frankfurt am Main 2003 (st 3503, zuerst 1941)

Feldforschung (2)  Wie heißen Sie?
Antw.: Andrew Scheuchzer.

Wie alt sind Sie?
Antw. : Das weiß ich nicht. Wollen Sie jung aussehen? Tragen Sie das Mieder Libella.

Der wievielte ist heute?
Antw. : Montag. Schönes Wetter, Sir. Diesen Sonnabend läuft Gibraltar im Epsom.

Wieviel ist drei mal fünf?
Antw. : Warum?

Können Sie rechnen?
Antw. : Ja, Sir. Wieviel ist siebzehn mal neunundzwanzig?

Überlassen Sie das Fragen uns, Andrew. Nennen Sie uns englische Flüsse.
Antw. : Die Themse.

Und weiter?
Antw. : Die Themse.

Andere kennen Sie wohl nicht? Wer regiert in England?
Antw. : King George. God bless him.

Gut, Andy. Wer ist der größte englische Schriftsteller?
Antw. : Kipling.

Sehr gut. Haben Sie etwas von ihm gelesen?
Antw. : Nein. Wie gefällt Ihnen Mae West?

Wir wollen lieber Sie fragen, Andy. Was wissen Sie von der englischen Geschichte?
Antw. : Heinrich VIII.

Was wissen Sie von ihm?
Antw.: Der beste Film der letzten Jahre. Fabelhafte Ausstattung. Unerhörtes Schauspiel.

Haben Sie ihn gesehen?
Antw. : Nein. Wollen Sie England kennenlernen? Kaufen Sie einen Ford Baby.

Was möchten Sie am liebsten sehen, Andy?
Antw. : Das Oxford-Cambridge-Wettrudern, Sir.

Wieviel Erdteile gibt es?
Antw. : Fünf.

Sehr gut. Und zwar?
Antw. : England und die andern.

Welches sind die andern?
Antw. : Die Bolschewiken und die Deutschen. Und Italien.

Wo sind die Gilbertinseln?
Antw. : In England. England wird sich nicht auf dem Kontinent die Hände binden. England braucht zehntausend Flugzeuge. Besuchen Sie die Südküste Englands.

Dürfen wir uns Ihre Zunge ansehen, Andy?
Antw. : Ja, Sir. Putzen Sie Ihre Zähne mit Flit-Paste. Sie ist sparsam, sie ist die beste, sie ist englisch. Wollen Sie einen wohlriechenden Atem haben? Benutzen Sie Flit-Paste.

Wir danken, das genügt. Und nun sagen Sie uns, Andy. . .

Und so weiter. Das Protokoll über das Gespräch mit Andrias Scheuchzeri umfaßte sechzehn volle Seiten und wurde in »The Natural Science« veröffentlicht. Am Schluß des Protokolls faßte die Fachkommission das Resultat ihres Versuches folgendermaßen zusammen:

1. Andrias Scheuchzeri, ein Molch des Londoner Zoos, kann sprechen, wenn auch etwas quäkend; er verfügt über einen Wortschatz von etwa vierhundert Wörtern; er sagt nur, was er gehört oder gelesen hat. Von selbständigem Denken kann natürlich nicht die Rede sein. Seine Zunge ist ziemlich beweglich; die Stimmbänder konnten wir unter den gegebenen Umständen nicht näher untersuchen.

2. Besagter Molch kann auch lesen, aber nur die Abendzeitung. Er interessiert sich für dieselben Dinge wie ein durchschnittlicher Engländer und reagiert darauf in gleicher Weise, das heißt den traditionellen, allgemeinen Ansichten folgend. Sein Seelenleben - sofern von einem solchen gesprochen werden kann - besteht aus den derzeit landläufigen Vorstellungen und Meinungen.

5. Seine Intelligenz ist durchaus nicht zu überschätzen, denn sie überschreitet in keiner Weise die Intelligenz eines Durchschnittsmenschen unserer Zeit. - (mol)

Feldforschung (3)  Um aufzusteigen, muß man am Boden einen Anlauf von ungefähr fünfzehn Metern nehmen, und schon bald befindet man sich in den Wipfeln der Bäume, was für eine seriöse Untersuchung anthropologischen Charakters völlig ausreicht. In einer Höhe von zwanzig, dreißig Metern taucht Maser, wie ein emsiger Engel, hinter einer Pappelreihe auf und beobachtet. Die bisher in seinem Notizbuch gesammelten Daten sind ohne Zweifel von wissenschaftlichem Interesse. Grosso modo unterteilen sich die beobachteten Exemlare in zwei Gruppen: Tendenziell gepaarte Individuen und tendenziell isolierte Individuen. Die zweiten finden sich für gewöhnlich in großen Kreisen um die ersten, auch sie allem Anschein nach mit dem Studium des Verhaltens anderer befaßt. Die gepaarten Individuen führen unter Zuhilfenahme der Hände, der Füße und der Zunge präzise kulturelle Erhebungen über den Gefährten durch, und in den meisten Fällen sind diese Art Studien wechselseitig.  - J. Rodolfo Wilcock, Das Stereoskop der Einzelgänger. Freiburg  1995 (zuerst 1972)

Feldforschung (4)

Feldforschung

- Gary Larson, The Far Side

Feldforschung (5) Eine der letzten technisch-militärischen Expeditionen ins Territorium der Gamuna hatte die Aufgabe, Daten für Studien zur Verwandtschaftsstruktur zwischen den Ethnien des Nordostens zu sammeln. Die Fallschirmjäger kämmten alle Straßen durch, drangen in alle Häuser ein, gaben allen, die sich widersetzten, Fußtritte, denn sie sollten Individuen verschiedenen Alters einfangen, um sie dann einem Verhör zu unterziehen. Alles verlief wie geplant, in einer Radioverbindung mit Santo Dios versicherte man einen korrekten Ablauf des Unternehmens. Einige Eingefangene hängte man an die Äste des riesigen Taschentuchbaumes, der auf dem Stadtplatz von Gamuna Valley steht, und ließ sie dort im Wind baumeln, während potente Aufnahmeanlagen eingeschaltet waren, um die Zeugnisse aus erster Hand zu sammeln, die dann an die Wissenschaftler weitergegeben werden sollten. Da richtete ein Feldwebel seine Bazooka auf einen der Hängenden, während der Hauptmann der Fallschirmjäger ihm zu sprechen befahl, indem er ein militärisches Gebrüll auf Palaveral (der Lingua Franca des Südwestens) ausstieß. Es wurde nie geklärt, was die Eingeborenen von dieser Zeremonie verstanden; aber Tatsache ist, daß die am Baum Hängenden, anstatt sich vom Geschrei des Hauptmanns erschrecken zu lassen, bei jedem seiner Befehle lachen mußten, während sie sich unaufhörlich miteinander unterhielten. Das geschah am Spätnachmittag. Man bedenke die Redeweise der Gamuna: allegro am Morgen, andante am Nachmittag und gegen Abend immer langsamer. Außerdem verständigen sie sich vom Spätnachmittag an durch Noten bei geschlossenem Mund; und wenn es Abend wird, ziehen sich die Noten so in die Länge, daß ein Fremder kaum der Schläfrigkeit widerstehen kann, nachdem er einen Satz gehört hat. Bei dieser Gelegenheit war der erste, der diese Wirkung zu spüren bekam, der Feldwebel mit der gezückten Bazooka; dann fielen auch die anderen Fallschirmjäger in der Grünanlage auf dem Stadtplatz von Gamuna Valley in tiefen Schlaf, um drei Tage später mitten in der Wüste wieder aufzuwachen. Wie sie dorthin gelangten, hat man nie erfahren.   - (fata)

Feldforschung (6)  Nach einem Fußmarsch von mehreren Tagen hatte Appenzzell endlich ein Kubu-Dorf entdeckt, etwa zehn Hütten auf Pfählen, die im Kreis um eine kleine Lichtung herum angeordnet waren. Zuerst war ihm das Dorf verlassen vorgekommen, dann hatte er mehrere Greise erblickt, die unter dem Vordach ihrer Hütten reglos in Hängematten lagen und ihn ansahen. Er war herangekommen, hatte sie auf malaiische Art gegrüßt, indem er andeutungsweise ihre Finger berührte, bevor er die rechte Hand auf sein Herz legte, und hatte dann bei jedem von ihnen als Opfergabe ein kleines Säckchen Tee oder Tabak niedergelegt. Aber sie antworteten nicht, neigten nicht den Kopf und rührten auch die Geschenke nicht an.'

Etwas später begannen Hunde zu bellen und das Dorf bevölkerte sich mit Männern, Frauen und Kindern. Die Männer waren mit Speeren bewaffnet, doch sie bedrohten ihn nicht. Niemand sah ihn an, niemand schien seine Gegenwart zu bemerken.

Appenzzell verbrachte mehrere Tage im Dorf, ohne dass es ihm gelang, mit dessen kurzangebundenen Bewohnern in Verbindung zu treten. Er verbrauchte seinen kleinen Vorrat an Tee und Tabak völlig umsonst; kein Kubu - nicht einmal die Kinder - nahm je auch nur ein einziges dieser kleinen Säckchen an, die die täglichen Gewitter jeden Abend unbrauchbar machten.  - (per)

Ethnograph

 

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