Aus diesem Grunde unternahm er auch niemals den Versuch, die Folklore unserer Alten und Vorfahren zu sammeln, wenn nicht die Dunkelheit sich schützend gesenkt hatte und sowohl er als auch sein Instrument im Ende einer Hütte verborgen waren, in welchem beide angestrengt lauschten. Es war offenkundig, daß es sich bei ihm um eine wohlhabende Person handelte, gab er doch jede Nacht größere Beträge für geistige Getränke aus, um die Scheu und Unfähigkeit von den Zungen der alten Leute zu verscheuchen. Im gesamten Landstrich genoß er diesen Ruf, und sowie bekannt wurde, daß er Jimmys oder Jimmy Tim Pats Haus einen Besuch abstatten wollte, hastete jeder alte Knabe, der im Umkreis von fünf Meilen wohnte, dorthin, um sich von der zungenlösenden feurigen Medizin etwas zuteil werden zu lassen; hierzu muß angemerkt werden, daß auch viele jüngere Leute sie begleiteten.
In der Nacht, von der die Rede ist, befand sich der Gentleman im Hause von
Maximilian O'Penisa, und zwar still in die Finsternis geduckt, die Gehör-Maschine
neben sich. Es hatten sich mindestens hundert alte Knaben um ihn gesammelt,
und sie saßen, stumm und unsichtbar, im Schatten der Wände und ließen die Flaschen
mit dem geistigen Getränk des Gentlemans von Hand zu Hand wandern. Manchmal
war über einen kurzen Zeitraum hinweg ein schwaches Wispern zu hören, aber im
allgemeinen bestand das einzige Geräusch aus dem Brüllen des Wassers, das draußen
aus den düstern Himmeln herniederfiel, ganz so, als leerten jene dort oben Kübel
voll übler Nässe über die Welt aus. Wenn es den geistigen Getränken gelang,
die Zungen der Männer zu lösen, so war das Ergebnis nicht etwa flüssiges Sprechen,
sondern ein Rollen und Lecken, um die gleißenden Tropfen der geistigen Getränke
noch besser erschmecken zu können. Auf diese Weise verging die Zeit, und so
wurde die Nacht immer später. Die lastende Stille drinnen und das Summen, das
draußen der Regen verursachte, entmutigten den Gentleman ein wenig. Er hatte
in jener Nacht kein einziges Kleinod unserer Alten sammeln können, stattdessen
aber geistige Getränke im Werte von fünf Pfund nutzlos verloren. - Flann O'Brien, Irischer Lebenslauf.
Eine arge Geschichte vom harten Leben. Herausgegeben von Myles na Gopaleen.
Aus dem Irischen ins Englische übertragen von Patrick C. Power. Aus dem Englischen
ins Deutsche übertragen von Harry Rowohlt. Frankfurt am Main 2003 (st 3503,
zuerst 1941)
Wie alt sind Sie?
Antw. : Das weiß ich nicht. Wollen Sie jung aussehen?
Tragen Sie das Mieder Libella.
Der wievielte ist heute?
Antw. : Montag. Schönes Wetter, Sir.
Diesen Sonnabend läuft Gibraltar im Epsom.
Wieviel ist drei mal fünf?
Antw. : Warum?
Können Sie rechnen?
Antw. : Ja, Sir. Wieviel ist siebzehn mal
neunundzwanzig?
Überlassen Sie das Fragen uns, Andrew. Nennen Sie uns englische Flüsse.
Antw.
: Die Themse.
Und weiter?
Antw. : Die Themse.
Andere kennen Sie wohl nicht? Wer regiert in England?
Antw. : King
George. God bless him.
Gut, Andy. Wer ist der größte englische Schriftsteller?
Antw.
: Kipling.
Sehr gut. Haben Sie etwas von ihm gelesen?
Antw. : Nein. Wie gefällt
Ihnen Mae West?
Wir wollen lieber Sie fragen, Andy. Was wissen Sie von der englischen Geschichte?
Antw. : Heinrich VIII.
Was wissen Sie von ihm?
Antw.: Der beste Film der letzten Jahre.
Fabelhafte Ausstattung. Unerhörtes Schauspiel.
Haben Sie ihn gesehen?
Antw. : Nein. Wollen Sie England kennenlernen?
Kaufen Sie einen Ford Baby.
Was möchten Sie am liebsten sehen, Andy?
Antw. : Das Oxford-Cambridge-Wettrudern,
Sir.
Wieviel Erdteile gibt es?
Antw. : Fünf.
Sehr gut. Und zwar?
Antw. : England und die andern.
Welches sind die andern?
Antw. : Die Bolschewiken und die Deutschen.
Und Italien.
Wo sind die Gilbertinseln?
Antw. : In England. England wird sich
nicht auf dem Kontinent die Hände binden. England braucht zehntausend Flugzeuge.
Besuchen Sie die Südküste Englands.
Dürfen wir uns Ihre Zunge ansehen, Andy?
Antw. : Ja, Sir. Putzen
Sie Ihre Zähne mit Flit-Paste. Sie ist sparsam, sie ist die beste, sie ist englisch.
Wollen Sie einen wohlriechenden Atem haben? Benutzen Sie Flit-Paste.
Wir danken, das genügt. Und nun sagen Sie uns, Andy. . .
Und so weiter. Das Protokoll über das Gespräch mit Andrias Scheuchzeri umfaßte sechzehn volle Seiten und wurde in »The Natural Science« veröffentlicht. Am Schluß des Protokolls faßte die Fachkommission das Resultat ihres Versuches folgendermaßen zusammen:
1. Andrias Scheuchzeri, ein Molch des Londoner Zoos, kann sprechen, wenn auch etwas quäkend; er verfügt über einen Wortschatz von etwa vierhundert Wörtern; er sagt nur, was er gehört oder gelesen hat. Von selbständigem Denken kann natürlich nicht die Rede sein. Seine Zunge ist ziemlich beweglich; die Stimmbänder konnten wir unter den gegebenen Umständen nicht näher untersuchen.
2. Besagter Molch kann auch lesen, aber nur die Abendzeitung. Er interessiert sich für dieselben Dinge wie ein durchschnittlicher Engländer und reagiert darauf in gleicher Weise, das heißt den traditionellen, allgemeinen Ansichten folgend. Sein Seelenleben - sofern von einem solchen gesprochen werden kann - besteht aus den derzeit landläufigen Vorstellungen und Meinungen.
5. Seine Intelligenz ist durchaus nicht zu überschätzen,
denn sie überschreitet in keiner Weise die Intelligenz eines Durchschnittsmenschen
unserer Zeit. - (
mol
)
- J. Rodolfo Wilcock, Das Stereoskop der Einzelgänger.
Freiburg 1995 (zuerst 1972)
Feldforschung (4)
-
Gary
Larson
, The Far Side
Feldforschung (5) Eine der letzten technisch-militärischen
Expeditionen ins Territorium der Gamuna hatte die
Aufgabe, Daten für Studien zur Verwandtschaftsstruktur zwischen den Ethnien
des Nordostens zu sammeln. Die Fallschirmjäger kämmten alle Straßen durch, drangen
in alle Häuser ein, gaben allen, die sich widersetzten, Fußtritte, denn sie
sollten Individuen verschiedenen Alters einfangen, um sie dann einem Verhör
zu unterziehen. Alles verlief wie geplant, in einer Radioverbindung mit Santo
Dios versicherte man einen korrekten Ablauf des Unternehmens. Einige Eingefangene
hängte man an die Äste des riesigen Taschentuchbaumes, der auf dem Stadtplatz
von Gamuna Valley steht, und ließ sie dort im Wind baumeln, während potente
Aufnahmeanlagen eingeschaltet waren, um die Zeugnisse aus erster Hand zu sammeln,
die dann an die Wissenschaftler weitergegeben werden sollten. Da richtete ein
Feldwebel seine Bazooka auf einen der Hängenden, während der Hauptmann der Fallschirmjäger
ihm zu sprechen befahl, indem er ein militärisches Gebrüll auf Palaveral
(der Lingua Franca des Südwestens) ausstieß. Es wurde nie geklärt, was die Eingeborenen
von dieser Zeremonie verstanden; aber Tatsache ist, daß die am Baum Hängenden,
anstatt sich vom Geschrei des Hauptmanns erschrecken zu lassen, bei jedem seiner
Befehle lachen mußten, während sie sich unaufhörlich
miteinander unterhielten. Das geschah am Spätnachmittag. Man bedenke die Redeweise
der Gamuna: allegro am Morgen, andante am Nachmittag und gegen
Abend immer langsamer. Außerdem verständigen sie sich vom Spätnachmittag an
durch Noten bei geschlossenem Mund; und wenn es Abend wird, ziehen sich die
Noten so in die Länge, daß ein Fremder kaum der Schläfrigkeit widerstehen kann,
nachdem er einen Satz gehört hat. Bei dieser Gelegenheit war der erste, der
diese Wirkung zu spüren bekam, der Feldwebel mit der gezückten Bazooka; dann
fielen auch die anderen Fallschirmjäger in der Grünanlage auf dem Stadtplatz
von Gamuna Valley in tiefen Schlaf, um drei Tage später mitten in der Wüste
wieder aufzuwachen. Wie sie dorthin gelangten, hat man nie erfahren.
- (fata)
Feldforschung (6) Nach einem Fußmarsch von mehreren Tagen hatte Appenzzell endlich ein Kubu-Dorf entdeckt, etwa zehn Hütten auf Pfählen, die im Kreis um eine kleine Lichtung herum angeordnet waren. Zuerst war ihm das Dorf verlassen vorgekommen, dann hatte er mehrere Greise erblickt, die unter dem Vordach ihrer Hütten reglos in Hängematten lagen und ihn ansahen. Er war herangekommen, hatte sie auf malaiische Art gegrüßt, indem er andeutungsweise ihre Finger berührte, bevor er die rechte Hand auf sein Herz legte, und hatte dann bei jedem von ihnen als Opfergabe ein kleines Säckchen Tee oder Tabak niedergelegt. Aber sie antworteten nicht, neigten nicht den Kopf und rührten auch die Geschenke nicht an.'
Etwas später begannen Hunde zu bellen und das Dorf bevölkerte sich mit Männern, Frauen und Kindern. Die Männer waren mit Speeren bewaffnet, doch sie bedrohten ihn nicht. Niemand sah ihn an, niemand schien seine Gegenwart zu bemerken.
Appenzzell verbrachte mehrere Tage im Dorf, ohne dass es ihm gelang, mit
dessen kurzangebundenen Bewohnern in Verbindung zu treten. Er verbrauchte seinen
kleinen Vorrat an Tee und Tabak völlig umsonst; kein Kubu - nicht einmal die
Kinder - nahm je auch nur ein einziges dieser kleinen Säckchen an, die die täglichen
Gewitter jeden Abend unbrauchbar machten. - (per)
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