einheit
Wenn jemand seine Tochter verheiraten
will oder wenn er um ihre Hand gebeten wird, bürgt der Vater
für die Unberührtheit des Mädchens. Unter dieser
Voraussetzung schließt er mit dem Freier einen Vertrag. Sollte sich erweisen,
daß die Jungfräulichkeit schon verloren ist, dann gilt die Vereinbarung nicht.
Sobald der Kontrakt aufgesetzt und feierlich unterschrieben ist, wird die Braut
zur Untersuchung ins Bad geführt. Die Mütter und Frauen beider Parteien und
einige von ihnen ausgewählte Matronen erwarten sie dort. Mit einem Taubenei
haben die Matronen zu prüfen, ob das Mädchen unangetastet ist. Sind aber die
Frauen von der Seite des Bräutigams mit dieser Probe nicht einverstanden, weil
sie sagen, das weibliche Geschlecht könne sich
wegen eines Medikamentes zusammenziehen, dann wickelt eine der Matronen ein
feines weißes Leinentüchlein um ihren Finger und führt
ihn sanft in die Scheide ein. Das Tüchlein wird mit jungfräulichem
Blut befleckt. Das jungfräuliche Blut hat die Eigenschaft,
daß es mit gar keinem Mittel ausgewaschen werden kann. Verschwindet der Fleck,
ist das ein Zeichen von Unkeuschheit. Sobald die Untersuchung vorbei und die
Unberührtheit der Braut erwiesen ist, ist der Ehevertrag gültig. Im andern Falle
gilt er nicht, und der Vater hat die vorher festgesetzte Strafe zu bezahlen.
Ihr müßt noch wissen: zur Bewahrung ihrer Jungfräulichkeit haben sich die Mädchen
einen sehr zierlichen Gang angewöhnt. Sie setzen einen Fuß nie mehr als einen
Fingerbreit vor den andern; denn das Jungfernhäutchen kann durch eine mutwillige
Bewegung verletzt werden. Merkt euch wohl: diese strengen Sitten werden in ganz
Catai befolgt. Die Tataren kümmern sich nicht um solche Feinheiten; ihre Frauen
und Töchter steigen aufs Pferd, und da ist es wohl möglich,
daß sie ihre Reinheit verlieren. - (
polo
)
Feinheit (2) Sainte-Croix machte in der Bastille
die Bekanntschaft eines gewissen Exili, eines gebornen Italieners,
der ihn noch mehr zur Rache anfeuerte und ihn zugleich die Mittel lehrte, sie
ungestraft auszuführen. »Die Franzosen«, sagte er,
»gehn bei ihren Verbrechen viel zu ehrlich zu Werke und verstehn auch ihre Rache
nur so wenig geschickt auszuführen, daß sie immer selbst deren Opfer werden.
Sie führen den Streich auf ihren Feind mit so viel Geräusch, daß sie sich selbst
einen noch weit grausameren Tod zuziehen als den, den sie ihrem Feind antun,
indem sie zugleich Vermögen und Ehre verlieren. Die Italiener sind feiner in
ihrer Rache. Sie haben es in ihrer Kunst so weit gebracht, daß sie Gifte bereiten
können, die dem geschicktesten Arzt verborgen bleiben. Ein schneller oder langsamer
Tod, wie es ihre Zwecke erfordern, steht in ihrer Macht. In beiden Fällen lassen
ihre Mittel keine Spuren zurück, sie sind, wenn sich doch einige Kennzeichen
finden, so zweideutig, daß man sie auch der gewöhnlichsten Krankheit zuschreiben
kann und die Ärzte, in der gänzlichen Ungewißheit über die unbestimmten Anzeichen,
die sie bei ihren anatomischen Untersuchungen finden, den Tod des Patienten
nicht anders als mit allgemeinen Ausflüchten, die sie immer bei der Hand haben,
verborgnen Krankheitsstoffen, schlimmen Zufällen, ungesunder Luft und dergleichen,
zu erklären wissen. Dies ist eigentlich die wahre Kunst, die es versteht, die
Verbrechern der Menschen auf die Rechnung der Natur zu setzen.« - (
pit
)