eilschen  In dem wilden Strudel seiner Gedanken klammerte sich Grobstock an das Wort «zurückzahlen», wie ein Ertrinkender einen Strohhalm ergreift.

«Ich will Euch Euer Geld zurückzahlen!» rief er. «Da habt Ihr Euere zwei Guineen! Dafür könnt Ihr Euch einen anderen Lachs kaufen, und sogar billiger. Ihr sagt selbst, diesen hier hättet Ihr für fünfundzwanzig Shilling bekommen können.»

«Zwei Guineen!» Manasseh spuckte beinahe. «Habt Ihr dem Fischhändler Jonathan nicht drei geboten?»

Grobstock war höchst erstaunt, fand es aber unter seiner Würde, mit dem Bettler zu feilschen. Er dachte auch daran, wie köstlich der Fisch munden würde.

«Nun gut, da habt Ihr drei Guineen», sagte er friedfertig.

Doch Manasseh stieß die Münzen zurück. «Drei Guineen! Und wo bleibt mein Profit

«Euer Profit!» Grobstock schnappte nach Luft.

«Da Ihr mich zum Händler gemacht, da Ihr mich ins Fischgeschäft gezwungen habt, muß ich meinen Kaufmannsgewinn haben wie jeder andere.»

«Da habt Ihr noch eine Krone drauf!»

«Und meine Entschädigung?»

«Was soll das heißen?» rief Grobstock, am Ende seiner Geduld. «Wofür verlangt Ihr Entschädigung?»

«Wofür? Zumindest für zwei Dinge», erwiderte Manasseh, ohne zu wanken. «Erstens...» Er verfiel bei seiner logisch gegliederten Antwort unwillkürlich in den geheiligten Singsang der talmudischen Dialektik. «Erstens eine Entschädigung dafür, daß ich den Lachs nicht selbst esse. Es ist ja nicht, als hätte ich ihn Euch angeboten - ich vertraute ihn Euch für kurze Zeit an. Im Zweiten Buch Mose steht jedoch geschrieben: ‹Wenn aber jemand seinem Nächsten einen Esel oder Ochsen oder Schafbock oder irgendein anderes Vieh zu bewahren gibt, und es wird beschädigt, so muß er für jeden Schaden oder Verlust, sei es für den Ochsen, den Esel, das Schaf oder etwas anderes, das Doppelte zur Entschädigung erhalten!› Darum müßt Ihr mir jetzt sechs Guineen bezahlen. Zweitens...»

«Keinen Pfennig mehr!» stotterte Grobstock mit puterrotem Kopf.

«Sehr wohl», erwiderte der Schnorrer ungerührt. Er hob die Stimme und rief: «Wilkinson!»

«Halt!» zischte Grobstock leise. «Was fällt Euch ein?»

«Ich will Wilkinson nur sagen, daß er mir mein Eigentum zurückbringen soll.»

«Wilkinson wird Euch nicht gehorchen.»

«Mir nicht gehorchen! Ein Dienstbote! Dabei ist er nicht einmal ein Schwarzer. Alle Sephardim, die ich zu besuchen pflege, haben schwarze Lakaien - viel großartiger als Wilkinson -, und sie zittern vor meinem Nicken. Der Baron D'Aguilar unterhält in seinem Stadtpalais in Broad Street ein Gefolge von vierundzwanzig Bediensteten, und alle...»

«Wie lautet also Euer zweiter Anspruch?»

«Eine Entschädigung dafür, daß Ihr mich zum Fischhändler herabgewürdigt habt. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die auf der Straße Waren verhökern. Ich bin ein Sohn der Lehre, ein Talmudgelehrter.»

«Vielleicht läßt sich jeder dieser Ansprüche durch ein Kronenstück abgelten...»

«Ich bin kein Blutsauger. Wie im Talmud, im Abschnitt über das Passahfest, geschrieben steht: ‹Gott liebt den Menschen, der seinem Grimm nicht nachgibt und nicht um sein Recht hadert!› Das macht alles zusammen drei Guineen und drei Kronen.»

«Stimmt. Hier sind sie.»

Wilkinson erschien. «Sie haben mich gerufen, Sir?»

«Nein, ich habe Euch gerufen», sagte Manasseh. «Ich wollte Euch ein Trinkgeld geben.» Und er überreichte dem Diener eines seiner drei Kronenstücke. - Israel Zangwill, Der König der Schnorrer. München 1994 (zuerst 1894)

Feilschen (2)  In einigen Kulturen Ist es üblich, zu feilschen. Es ist ein Versuch, sich die Gefühle des Austauschs zu bewahren. Die Feilschenden erleben sich beide als großzügig: Der eine nimmt am Ende weniger ein, als er verlangt hat; der andere gibt mehr, als er ursprünglich geben wollte. Jeder hat dem anderen eine Gabe gemacht; jeder ist dem anderen verpflichtet. Gleichzeitig ist alles nur ein Spiel: Jeder weiß, daß der eine mehr verlangt hat, als er verlangen durfte; und daß der andere weniger zahlen wollte, als er zahlen mußte, so daß beide also nur darauf verzichtet haben, den anderen zu übervorteilen. - Dieter E. Zimmer, nach: Tintenfass 4 , Zürich 1981
 
 

Profitmaximierung Preisgestaltung Markt

 

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