egefeuer Nach all den Jahren merkte Maigret gar nicht mehr, daß er sich jedesmal, wenn er die steile, staubige Treppe der Polizeipräfektur erklommen hatte, eine kurze Verschnaufpause gönnte und daß sein Blick dann unwillkürlich zu dem als Warteraum dienenden Glasverschlag hinüberglitt, der von den einen das Aquarium, von den andern das Fegefeuer genannt wurde. Möglicherweise erging es seinen Kollegen genauso, möglicherweise war es auch bei ihnen zu einer Art Berufstick geworden.

Mochte auch der Himmel über Paris wolkenlos sein wie heute morgen, mochten im milden Licht dieser Sonne, das etwas von der heiteren Frische der Maiglöckchen hatte, die zahllosen Schornsteine wie lauter rote Blumentöpfe leuchten: hier, im fensterlosen Fegefeuer, das nur durch den endlos langen Korridor Licht bekam, brannte den ganzen Tag eine Lampe. In den Klubsesseln und auf den mit grünem Samt überzogenen Stühlen sah man mehr oder minder zweideutige Gestalten sitzen, Stammkunden sozusagen, die einer der Inspektoren während seiner nächtlichen Streifzüge aufgelesen hatte und die nun darauf warteten, verhört zu werden. Spitzel waren ebenfalls darunter, auch Augenzeugen verschiedener Verbrechen, und jedesmal, wenn jemand vorbeikam, begegnete ihm ihr trauriger Blick.

Aus irgendeinem undurchsichtigen Grunde hatte man ausgerechnet hier die Fotografien von zwei bei Erfüllung ihrer Dienstpflicht ums Leben gekommenen Polizeibeamten,aufgehängt, die nun aus ihren schwarzen, mit goldenen Schnüren umwundenen Rahmen auf die Anwesenden herabsahen.

Auch Angehörige der sogenannten vornehmen Welt wanderten durchs Fegefeuer, Männer und Frauen, die einen Augenblick lang zu zögern pflegten, ehe sie sich auf einem der Stühle niederließen, und die sich im allgemeinen benahmen, als befänden sie sich nur ganz zufällig, irgendeiner völlig belanglosen Angelegenheit wegen an diesem Ort. Zu guter Letzt gewöhnten auch sie sich an einen der Stühle, und zwei, drei Stunden später sah man sie dann mit trüben Mienen ganz zusammengesunken dahocken, ohne das Bewußtsein ihrer sozialen Sonderstellung.

Diesmal war nur ein Mann im Fegefeuer, und Maigret sah, daß er zu jenem Typ gehörte, für den sie die Bezeichnung Rattenvisage geprägt hatten. Er war mager, hatte eine fliehende Stirn, die von rötlichem Haarflaum umkränzt war, Augen von einem Blau, von dem sich nicht sagen ließ, ob es hell oder dunkel war, eine Nase, die um so mehr hervorstach, als sein Kinn zurückwich. - Georges Simenon, Maigret und die schrecklichen Kinder. München 1972 (Heyne Simenon-Kriminalromane 7, zuerst 1963)

Fegefeuer (2) Heute habe ich mit der Dusche begonnen. Es ist eine recht gute Wiedergabe des Purgatoriums: Man steht ganz nackt in einem kleinen Raum unter der Erde, wo eine Frau eine Röhre mit diesem heißen Wasser dahin richtet, wo immer man will. Der Zustand, in dem einem kaum ein Feigenblatt als ganze Bekleidung bleibt, ist etwas demütigend. Ich nahm meine beiden Zofen mit, um wenigstens bekannte Gesichter zu sehen. Hinter dem Vorhang hält sich jemand auf, der einem während einer halben Stunde Mut zuspricht. Für mich war es ein Arzt aus Ganat, den Frau von Noailles zu all ihren Kuren mitnimmt, den sie sehr schätzt, ein angenehmer junger Mann, gar kein Scharlatan, ohne festgefahrene Ideen. Sie hat ihn mir aus reiner Freundschaft geschickt, und ich will ihn behalten, und wenn es mich meine Haube kostet, denn die hiesigen sind unerträglich, dieser aber amüsiert mich. Er gleicht den gewöhnlichen Ärzten nicht, allerdings auch nicht dem von Chelles. Er ist intelligent, hat gute Manieren, ist in der Welt herumgekommen, kurz, ich bin mit ihm zufrieden. Er also hat mich unterhalten, während ich gemartert worden bin. Denken Sie sich einen Wasserstrahl, so kochend heiß wie nur möglich, auf eines ihrer armen Glieder gerichtet. Zuerst wird überall Alarm gespritzt, damit sämtliche Geister in Bewegung geraten, nachher verharrt der Strahl auf den kranken Gelenken, und wird er dann aufs Genick gerichtet, so zuckt man von unvorstellbarer Glut erschreckt zusammen. Doch dies sei das Wichtigste bei der ganzen Prozedur. Man muß leiden und erleidet alles, ist nicht verbrannt und wird nachher in ein warmes Bett gesteckt, wo man ausgiebig schwitzt, und das ist es, was heilt.  - (sev)

Fegefeuer (3)  Das »Fegfeuer«-Reich, welches im Gegensatz zur »Hölle« oder »infernus inferior«, auch »infernus superior« genannt wird, befindet sich »mit Rücksicht auf das Feuer« in nächster Nähe der Hölle und ist mit dieser durch eine Tür verbunden; es scheint demnach, wenigstens nach der Ansicht meines Landsmanns, des Würzburger Augustiner-Mönchs Bartholomäus, sein Feuer aus der Hölle zu beziehen; Oswald dagegen (den ich nicht mit dem Marien-Oswald zu verwechseln bitte), will das Feuer-Reich »nicht zu nahe an die Hölle rücken und geradezu zu einer Vorhölle machen; in der Tat ist es weit eher als ein Vorhimmel anzusehen«; die Qualität des Feuers will er aber auch mit dem in der Hölle zusammenfallen sehen. Schwierige Dinge! Die ältere, tröstliche Aussicht, daß es sich bei dem Brennen nur um eine Allegorie, um eine geistige Pein, um »die Pein des Verlustes des Himmels«, wie der Pfarrer in Einsiedeln will, handle, scheint sich leider neuerdings nicht zu bestätigen; es ist ein wahrhaftiges »Brennen«, und Oswald hält »wissenschaftlich die Ansicht von einem körperlichen Feuer in der fünften Auflage für die bei weitem wahrscheinlichere«. Die Schmerzen »überbieten verhältnismäßig weit alle Leiden dieser Welt« und sind »grausig und furchtbar«; und auch die rein »geistigen Schmerzen« des Einsiedler Pfarrers, oder »die Qual des Verlustes« sind nach ihm schlimmer, »als tausendfaches Feuer«. Kompliziert wird dieses »Fegfeuer« dadurch, daß darin vollständige Finsternis herrscht: »Es gibt im Fegefeuer nebst der Feuerpein noch andere Peinen der Sinne oder der Empfindlichkeit, vorerst die Finsternis«; auch kommen eine Menge »scharfer« säureähnlicher Stoffe dort vor, »gegen die in diesem Leben nichts Schärferes und nichts Heftigeres erdacht werden kann«; eine weitere Komplikation des »Fegfeuers« ist eine wahnsinnige »Kälte«: »Diejenigen, welche sich im Reinigungsort befinden, erwarten die Erlösung, müssen aber zuerst durch die Hitze des Feuers, oder die Schärfe der Kälte gepeinigt werden«; kein Wunder, daß diese Leute »ohne Unterlaß« schreien und als letzten Kontrast meldet uns Oswald, daß bei allen Feuer-Schmerzen daselbst »viele himmlische Freude« bestehe »wegen der völligen Übereinstimmung ihres Willens« mit den verhängten Leiden.

Ich kann hier nicht mit einer Ansicht zurückhalten: Dieses Fegfeuer mit seinen lohenden Flammen, mit seiner entsetzlichen Hitze, Dunst und Qualm, mit seinem Fettgeruch und Schmalzpfannen, den vielen sauren und gebeizten, scharfen Sachen, die da gegessen werden, dem großen Durstgefühl daselbst, der entsetzlichen Kälte in der Nähe der Türe (trotz großer Hitze im Inneren), dem fürchterlichen Geschrei und dabei doch himmlischen Fröhlichkeit, »wegen der Übereinstimmung ihres Willens mit ihrem Aufenthaltsort«, erinnert mich lebhaft an das deutsche Wirtshaus mit Garküche; schrecklicher kann dort der Qualm nicht sein; nicht schrecklicher das Geschrei; und schlimmer können nicht die Unholdinnen sein, die dort die »armen Seelen« bedienen. - Oskar Panizza

Fegefeuer (4)  

...ist offenbar eher für Frauen gedacht

- Arnsheim

Hölle Feuer

 

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