Fassadenkletterer

 

- Bedrich Grunzweig

Fassadenkletterer (2) Ein Windzug in den Akazien: das war alles. Girgis schlüpfte in das Gebüsch an der Rückseite von »Shepheard's Hotel«. Während die Sonne schien, trat er mit einer syrischen Akrobatentruppe und einem Trio aus Port Said (Zimbel, nubische Trommel, Rohrflöte) auf einem freien Platz am Ismailia-Kanal auf, draußen, in einem Vorort, in der Nähe des Schlachthofs von Abbasija. Ein Jahrmarkt. Es gab dort Schiffschaukeln und ein furchteinfiößendes dampfgetriebenes Karussell für die Kinder; Schlangenbeschwörer und Verkäufer aller möglichen Erfrischungen: von gerösteten Abdelawischeiben, von Zitronen, türkischem Honig, Lakritze- oder Orangenblütenwasser oder von Fleischpudding. Sein Publikum waren die Kinder von Kairo, und jene großen Kinder aus Europa, die Touristen.

Nimm es von ihnen am Tage, nimm in der Nacht. Wenn er es nur nicht so sehr In seinen Knochen spüren würde. Für seine Kunststückchen - mit Seidentüchern, Zauberkasten und einem Mantel, der außen mit hieroglyphischen Pflügen, Zeptern, Ibissen, Lilie und Sonne bestickt war und dessen Taschen man nicht sehen konnte -wie auch für seine Diebeszüge brauchte er bewegliche Hände, Knochen wie Gummi. Aber die Clownerien - das war es, was ihn mürbe machte. Das verhärtete die Knochen: Knochen, die leben müßten und keine versteinerten Äste unter seinem Fleisch sein durften. Dieser Sturz von der Spitze einer buntgescheckten Pyramide, zu der sich die Syrer zusammengestellt hatten, mußte so lebensgefährlich aussehen, wie er tatsächlich war; oder wenn der unterste Mann in der Pyramide, wie er es geübt hatte, zu stolpern begann und die ganze Pyramide gefährlich wankte und alle so taten, als wären sie zu Tode erschrocken. Während die Kinder lachten, aufschrien, ihre Augen schlössen oder den spannenden Augenblick genossen. Das war die einzige wirkliche Belohnung, dachte er - weiß Gott, dafür kann man sich nichts kaufen -, die Reaktion der Kinder, der Lohn des Hanswurstes.

Genug, genug. Am besten, sich gleich an die Arbeit machen, und dann so schnell wie möglich ins Bett. Eines Tages würde er sonst so erschöpft auf die Pyramide klettern, mit so schwachem Reaktionsvermögen, daß seine halsbrecherische Nummer wirklich halsbrecherisch wäre. Girgis fröstelte, in demselben Wind, der den Akazien Kühlung brachte. Hinauf, sagte er zu seinem Körper, hinauf: zum Fenster.

Und er war schon halb aufgestanden, als er seinen Konkurrenten sah. Ein anderer komischer Akrobat, der aus einem Fenster kletterte, drei Meter über dem Gebüsch, in dem Girgis sich verbarg.

Geduld. Seine Technik studieren. Man lernt immer dazu. Das Gesicht des anderen, en profil, erschien ihm falsch: aber das war nur das Straßenlicht. Mit den Füßen nun auf einem schmalen Sims, begann der Mann sich wie ein Krebs vorzuschieben, auf eine Ecke des Hauses zu. Nach ein paar Schritten: halt. Er zupfte an seinem Gesicht herum. Etwas Weißes flatterte herab, seidendünn, in die Büsche.

Haut? Girgis fröstelte wieder. Er wußte, wie man Gedanken an Krankheit vertrieb.

Es schien, als würde der Sims zur Hausecke zu noch schmaler. Der Einbrecher schmiegte sich noch enger an die Mauer. Erreichte die Ecke. Als er mit dem einen Fuß auf dieser, mit dem anderen auf der anderen Seite des Simses stand und ihn die Hausecke von oben bis unten in zwei Teile spaltete, verlor er das Gleichgewicht und fiel. Während des Sturzes stieß er auf englisch einen Fluch aus. Dann schlug er krachend ins Gestrüpp, rollte noch ein Stück und blieb dann für eine Weile liegen. Ein Streichholz flammte auf und verlosch, ließ die bald heller, bald dunkler glimmende Glut einer Zigarette zurück.

Girgis empfand ein Gefühl der Sympathie. Er sah, wie es ihm eines Tages passierte, vor den Kindern, den alten wie den jungen. Würde er an Omen glauben, hätte er es für diese Nacht aufgegeben und wäre zu dem Zelt zurückgegangen, das in der Nähe des Schlachthofs aufgeschlagen war und in dem sie alle hausten. Aber wie sollte er von den wenigen Millièmes leben, die ihm am Tage zugeworfen worden waren? »Fassadenkletterei ist ein aussterbender Beruf«, überlegte er in seinen Mußestunden. »Alle Könner sind in die Politik abgewandert.«

Der Engländer drückte seine Zigarette aus, erhob sich und begann, einen Baum in der Nähe zu besteigen. An den Boden gedrückt, murmelte Girgis alte Flüche. Er hörte den Engländer schnaufen und mit sich selbst reden, während er nach oben kletterte, auf einem Ast entlangbalancierte und in ein Fenster spähte.

Nach fünfzehn Sekunden hörte Girgis vom Baum herab deutlich die Worte »ein bißchen dick, nicht wahr?«. Eine neue glimmende Zigarette tauchte auf, flog dann plötzlich in einem kurzen Bogen abwärts und blieb in der Luft hängen. Der Engländer hing mit einem Arm an dem Ast.

Das ist zum Lachen, dachte Girgis.

»Krach.« Der Engländer war wieder in das Gebüsch gefallen.  - (v)

Fassadenkletterer (3)
 

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