arm Um den gepflasterten Bereich lief einer hoher, ungestrichener Holzzaun, der oben mit Stacheldrahtrollen gesichert war, und hinter dem Zaun lag die »Farm«. Eine Wolke fauligen Geruchs schien die Sonne zu verfinstern, als wir ausstiegen. So oft ich ihn auch gerochen hatte, gewöhnen konnte ich mich nie an ihn. Ich hatte gelernt, ihn nicht zu ignorieren, mich aber mental dagegen abzuschotten, wobei ich nie versuchte, ihn mit Zigarren, Parfüm oder dem branchenüblichen Mentholbalsam zu verdrängen. Gerüche gehörten zu den Dingen, durch die Tote zu uns sprachen, genau wie Narben oder Tätowierungen.
»Wie viele Gäste haben wir denn heute?« fragte ich Dr. Shade, der in ein riesiges Vorhängeschloß am Gatter die Zahlenkombination eintippte.
»Vierundvierzig«, sagte er.
»Sie sind schon eine ganze Weile hier, bis auf Ihre beiden«, ergänzte Katz. »Die sind genau seit sechs Tagen bei uns.« Ich folgte den Männern in ihr bizarres Reich. Der Geruch war nicht allzu schlimm, weil die Luft die Leichen kühl hielt und der größte Teil der Kundschaft schon lange genug da war, um die übelsten Stadien des Verwesungsprozesses hinter sich zu haben. Trotzdem war das, was es zu sehen gab, ausgefallen genug, daß ich immer wieder stehenbleiben mußte. Hier stand eine abgestellte Rollbahre, dort ein Leichenwagen, daneben stapelten sich rote Ziegel. Mehrere Leichen lagen in mit Plastikbändern gesicherten Gruben, von Steinblöcken unter Wasser gehalten. Alte rostende Wagen bargen faulende Überraschungen in ihrem Kofferraum oder hinter dem Steuer. Am Lenkrad eines weißen Cadillac saß zum Beispiel das nackte Skelett eines Mannes.
Das Gelände war offenbar dicht bevölkert, und alle paßten sich so gut ihrer Umgebung an, daß ich sicher einige über-sehen hätte, hätte nicht hier ein Goldzahn geglänzt oder dort ein offener Kiefer geklafft. Einzelne Knochen lagen herum wie Kraut und Rüben. Aber es gab wohl keinen mehr, der sich an dieser despektierlichen Unordnung gestört hätte, außer vielleicht die ehemaligen Besitzer amputierter Gliedmaßen, die hoffentlich noch unter den Lebenden weilten.
Unter einem Maulbeerbaum lag ein Schädel und grinste mich an; das Einschußloch
zwischen den Augenhöhlen sah aus wie ein drittes Auge.
Nicht weit davon entfernt das Musterexemplar eines Schädels mit rosa Zähnen
— wahrscheinlich Folge einer Hämolyse oder der Auflösung der roten Blutkörperchen,
jedenfalls aber ein Phänomen, das immer noch bei jeder forensischen Debatte
Anlaß für Auseinandersetzungen ist. Der Boden war übersät mit Walnüssen, gegessen
hätte ich jedoch keine davon, weil der Tod hier den Boden regelrecht durchtränkt
hatte und alle möglichen Körperflüssigkeiten in das Erdreich dieser Hügel gesickert
waren. Der Tod wohnte hier im Wasser und im Wind, zog hinauf zu den Wolken,
regnete auf die Farm herab, und die Tiere, die hier lebten, waren längst übersättigt
davon. Sie fraßen nicht einmal mehr alles auf, was sie hier fanden, denn das
Angebot war überreichlich. - Patricia Cornwell, Das geheime ABC der Toten.
München 1997 (zuerst 1994)
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