amilientradition  Bei Richard Dadd scheint das Phantastische auf den ersten Blick eher in seinem Leben als in seinem Werk zu liegen. Dieser Mann, der mit 26 Jahren, wie er meinte von der Stimme der Osiris getrieben, seinen Vater erschlug - um den Teufel zu treffen -, und der dann zeitlebens, und das heißt für mehr als vierzig Jahre, interniert war, lebendig tot, begraben hinter den Mauern der Irrenanstalten von Bethlem und Broadmoor, hat ein mit den Umständen seines Daseins verglichen seltsam beruhigtes und versöhntes Werk hinterlassen, wenngleich wir nicht wissen, ob nicht ein möglich phantastischer Teil seines Werkes - wie mehrfach mit guten Gründen vermerkt wurde - von der Familie, die sich der Existenz dieses wahrhaft verlorenen Sohnes schämte, nach seiner Internierung aufgekauft und vernichtet wurde.

Seine Familie wollte so wenig wie möglich an ein Schicksal erinnert werden, das ihr unausweichlich verhängt schien. Sie war geschlagen genug. Von den sieben Kindern des Robert Dadd aus seiner Ehe mit Mary Ann Martin gingen vier den gleichen Weg wie Richard: George William, der jüngere Bruder, mußte schon wenige Tage nach dem Vatermord nach Bethlem verbracht werden, gerade 20 Jahre alt; die jüngere Schwester, Maria Elisabeth, mit Richards Freund, dem Maler John Phillip verheiratet, verfiel kaum ein Jahrzehnt später dem Wahnsinn und wurde in das Asyl von Aberdeen eingewiesen; beide blieben bis zu ihrem Tode interniert. Stephen, einer der älteren Brüder Richards, zeigte im letzten Lebensjahrzehnt Anzeichen von Umnachtung und war in die Obhut eines häuslichen Pflegers gegeben. Die beiden Söhne des Vaters aus seiner zweiten Ehe - die erste Frau war nur 32 Jahre geworden, die zweite starb noch jünger, eben 28 Jahre alt - emigrierten, wohl in dem Wunsch, der Tragödie zu entgehen, nach Amerika. - Wieland Schmied, Zweihundert Jahre phantastische Malerei. München 1980

Familientradition (2) Georg Büchner seziert tierische Kadaver am laufenden Band. Zwischen Messer und »Opfer« denkt er an seine Braut Minna. Als er ihr in einem Brief davon Mitteilung macht, ist ihm (der durch Entmannung für seine Liebe bestrafte) Abälard vor Augen: »Ich sehe dich immer so halb zwischen Fischschwänzen, Froschzehen u.s.w. Ist das nicht rührender, als die Geschichte von Abälard, wie sich ihm Heloise immer zwischen die Lippen und das Gebet drängt?« Büchners Vater hatte 1824 eine wissenscliaftliohe Arbeit mit dem Titel Beobachtung einer glücklich abgelaufenen Selbstentmannung veröffentlicht. - Jürgen Manthey, In Deutschland und um Deutschland herum. Ein Glossar. Frankfurt am Main 1995

Familientradition (3)   Es war alles so bestimmt, denn noch von meiner Mädchenzeit her hatte ich die größte Angst vor dem Kinderkriegen, und als ein Witwer um meine Hand anhielt, dessen Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben war, machte ich zur Bedingung, ihm nie Kinder schenken zu müssen, und meiner Schönheit und meinem Vermögen zuliebe willigte er ein. Unsere Anna war ein reizendes Mädchen: Ich habe mit diesen meinen Augen gesehen, wie das Standbild des heiligen Joseph im Dom sich nach ihr umgeblickt hat; so sehr gemahnte sie ihn an die Jungfrau und wie hold sie aussah, als sie ein vertrautes Paar waren. Ihre Füße glichen Schwanenschnäbeln, und der Schuhmacher machte uns die Schuhe über den gleichen Leisten. Ich zog sie auf in dem Gedanken, daß Frauenschönheit das krönende Meisterwerk Gottes sei und nicht verschenkt werden soll. Aber in ihrem siebzehnten Jahr verliebte sie sich in einen, dazu noch in einen Soldaten, es war ja die Zeit der Feldzüge der Franzosen und ihres schrecklichen Kaisers. Sie heiratete ihn und ging mit ihm. Ein Jahr später starb sie unter denselben Martern wie ihre Mutter. - (blix)

Familientradition (4) Das jugendliche Alter beiden Erben des Schwertes des Gesetzes wäre eine gute Gelegenheit für Martha Dubut gewesen, eine Nachfolge im Amt für ihre Söhne abzulehnen. Sie war jedoch anderer Meinung, tat im Gegenteil eifrige Schritte, damit Charles Jean Baptiste mit dem finstern Amte bekleidet werde, das sein Vater vakant gelassen.

Das strenge Gesicht dieser Frau, das ich noch unter meinen Familienporträts finde, beweist, daß sie von ungewöhnlicher Härte gewesen sein müsse. Sie hielt sich verpflichtet, ihren Söhnen das Erbteil des Vaters unberührt zu erhalten.

Von dem Kriminalleutnant und dem Generalprokurator unterstützt, hatten ihre Schritte Erfolg. Charles Jean Baptiste war kaum sieben Jahre alt, als diese Artemisia des Schafotts ihn zum Scharfrichter ernennen ließ. Während seiner Minderjährigkeit versahen zwei Stellvertreter in seinem Namen das Geschäft, zuerst George Hérisson, der später Scharfrichter von Melun wurde, dann ein gewisser Prudhomme.

Obwohl dieses arme Kind durch seine Stellvertreter auf den Grèveplatz geführt wurde, um den Hinrichtungen beizuwohnen und diese durch seine Gegenwart zu legalisieren, vermochte es doch noch nicht, wie sein Vater und sein Großvater, die Eindrücke, die es hier empfand, aufzuzeichnen. Es findet sich also eine Lücke in diesen Memoiren, die mich nötigt, mehrere Hinrichtungen zu übergehen.  - Henry Sanson, Tagebücher der Henker von Paris. 1685 - 1847

Familientradition (5) Als  die Mykenäer ein Orakel erhielten, welches ihnen befahl, einen Sohn des Pelops zum König zu wählen, schickten sie nach Atreus und Thyestes. Es entstand ein Wettstreit darüber, wer von den beiden der König werden sollte. Thyestes schlug heimtückisch vor, den zu wählen, der im Besitz des goldenen Lammes wäre. Atreus, der sich in dessen Besitz wähnte, war damit einverstanden. Nun zeigte Thyestes das Vlies vor und wurde der König von Mykenai. Atreus mußte in die Verbannung ziehen. Doch Zeus konnte dies nicht zulassen. Er veränderte den Gang der Gestirne: ließ die Sonne im Westen aufgehen und untergehen im Osten. Daran erkannten die Mykenäer, daß sie falsch gewählt hatten. Und daraufhin verjagte Atreus den Bruder. Thyestes irrte als Verbannter herum. Aber auch der andere war seiner Herrschaft nicht sicher. Thyestes, der von Aeropes Gnaden in den Besitz des goldenen Lammes gelangt war, scheint doch mehr Recht daraufgehabt zu haben als sein Bruder. Seinem Namen nach war er der »Mann des Opfers«, wie wenig auch spätere Erzähler von diesem Opfer noch wußten. Er wurde dadurch zum König geweiht, und diese Weihe mußte rückgängig gemacht werden. Daher ersann wohl Atreus das Schrecklichste.

Die späten Erzähler haben große Mühe gehabt, für dieses Schreckliche einen Grund anzugeben. Sie behaupteten, Atreus hätte erst damals die Untreue seiner Frau entdeckt und Thyestes unter dem Vorwand der Aussöhnung zurückgerufen, damit er an ihm Rache nehme. In den älteren Erzählungen ist aber Thyestes vielleicht gar nicht in die Verbannung gegangen. Sondern es geschah wohl sogleich, nachdem Atreus in den Besitz des Throns gelangt war, daß er seinem Bruder das schreckliche Mahl vorsetzte. Dadurch geriet die von Mykenai aus beherrschte Welt unter dieser Dynastie in völlige Unordnung. Atreus tat, was von seinem Großvater Tantalos erzählt wurde. Doch nicht die eigenen Söhne schlachtete er ab, sondern die Kinder des Thyestes und lud den Bruder von allen anderen getrennt ein35, von den gebratenen inneren Teilen und dem gekochten Fleisch zu essen. Ähnlich hatten Prokne und Philomela den Tereus eingeladen. Dies war eine schreckliche Strafe im Orient, die unheilige Ausführung einer heiligen Handlung, die in Griechenland in der Form des Kochens und Bratens eines Zickleins, des stellvertretenden Opfertieres der Dionysosmysterien, erhalten blieb. Unheüig wurde dieses Opfer schon durch Tantalos dargebracht, noch unheiliger jetzt durch Atreus, damit Thyestes, wenn er davon esse, selbst unheilig und völlig vernichtet werde. Als dieser merkte, was er gegessen20, fiel er auf den Rücken, gab das Gegessene von sich, stieß mit einem Fußtritt den Tisch um und verfluchte sein Geschlecht: ähnlich sollte es hinstürzen.  - (kere)

 

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