Familiensilber  Als Floss und ich am  Abend gegen elf Uhr durch die Hintertür das Haus betraten, erwarteten wir, Sadie im vorderen Zimmer, wo sie sich gern hinlegte, wenn wir nicht da waren, auf dem Sofa schlafend vorzufinden. In der Küche kein Licht. Stühle lagen um­gekippt herum. Floss spürte, daß etwas nicht stimmte, und rief nach dem Mädchen. Keine Antwort. Im ver­gangenen Monat war in der Nachbarschaft mehrmals eingebrochen worden. Wir hatten Sadie gesagt, sie solle das Haus verschlossen halten und auf keinen Fall irgendeine Außentür öffnen, ohne vorher zu fragen, wer da wäre.

Nun eilten wir ins Eßzimmer und machten Licht. Auch hier war alles durcheinander, Stühle lagen um­her, die Schubladen der Anrichte waren herausgezogen. Unser ganzes Silberzeug war weg! Ich glaube, jetzt vernahmen wir ein Stöhnen. Floss ging ins Vorderzimmer, auch hier alles dunkel. Sie machte Licht, und da, auf dem Boden vor dem Klavier, das wir damals hatten, die Beine unten daran festgebunden, die Hände auf den Rücken gefesselt und einen Knebel im Mund, lag Sadie.

Es verschlug mir die Sprache.

Das Mädchen gab ein unverständliches Gebrummel von sich, versuchte uns etwas zu sagen; ich holte ein Messer und schnitt die Stricke durch, befreite ihre Arme, ihre Beine und entfernte den Knebel, den man ihr um den Mund gebunden hatte. Nun setzte sie sich auf und berichtete uns aufgeregt, daß sie das Silberzeug gerettet habe. Sie habe geahnt, daß an diesem Abend etwas passieren würde, und daher habe sie das Silber vorsorglich in einen meiner alten Koffer getan und diesen im Kamin versteckt. Ich lief hin, nahm das Gebläse von der kalten Feuerstelle und fand tatsächlich, genau wie sie gesagt hatte, das ganze Silberzeug; nichts fehlte.

Wunderbar!

Darauf erzählte sie uns, sich die Handgelenke reibend, sie habe starr vor Schreck mit anhören müssen, wie die Männer durch den Keller hineingekommen seien. Ehe sie sich rühren oder schreien konnte - die Kinder wagte sie nicht im Stich zu lassen! -, fielen sie über sie her, preßten ihr eine Hand vor den Mund und ...

»Haben sie dir etwas angetan?« rief ich aufgeregt.

Ah nein, nichts dergleichen.

Statt dessen waren die Männer die Treppe hinaufgegangen, während Sadie hilflos arn Boden lag und sie in den Kommoden wühlen hörte. Floss stürzte nach oben und sah bei den Kindern nach, die genauso ruhig schliefen, wie wir sie verlassen hatten; aber in unserem Zimmer war alles aus den Schubladen gerissen und in wüstem Durcheinander auf dem Boden verstreut. Unterdessen konnte Sadie, abwechselnd von mir umarmt und gepriesen, ein wenig zusammenhängender erzählen. Es waren zwei Männer, Weiße; kurz vor unserem Eintreffen, das war keine zehn Minuten her, vielleicht von uns aufgeschreckt, stürzten sie in den Keller und flohen auf demselben Weg, den sie gekommen waren. Ich lief hinunter, um nachzusehen, ob sich dort weitere Hinweise finden ließen, und fand auf dem Betonboden vor der offenen Tür einen verlassenen Koffer. Ich ging nach oben und rief die Polizei.

Inzwischen war Floss aus dem ersten Stock zurück, und da im Grunde ja nichts gestohlen worden war, nicht einmal die Kinder aufgewacht waren und die ganze Sache einen ziemlich verdächtigen Eindruck machte, sagte sie kein Wort zu mir und blieb ruhig sitzen, bis Wachtmeister Rosenfelder eintraf, ein großer, freundlicher Bursche mit einem trefflichen Kopf auf den Schultern. Wir erzählten ihm die Sache, wobei Sadie uns hier und da korrigierte; dann fragte ich ihn, ob er nicht in den Keller gehen und sich das mal an­sehen wolle. Wir beide gingen zusammen hinunter. Nachdem ich Licht gemacht hatte, sah er mich lächelnd an.

»Sie hat es selbst gemacht«, sagte er.

»Wie meinen Sie das?«

»Um die Heldin zu spielen«, sagte er, »und von Ihnen gelobt zu werden.«

Floss war bereits zu demselben Schluß gekommen. Wie auch immer, nachdem alles klargestellt war, sagte ich zu Sadie, sie habe da wirklich eine gute Show abgezogen. »Aber wie zum Teufel hast du mit gefesselten Händen den Knebel in den Mund bekommen?«

»Das war ich nicht«, sagte sie. - (wcwa)

Familie Silber

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