Familienmensch  Degerloch bei Stuttgart. Am 3. September 1913 sitzt der 39-jährige Hauptlehrer Ernst Wagner mit seiner Familie, der Eigentümerin des Hauses, in dem er wohnt sowie deren Tochter bis etwa 21 Uhr im Garten und genießt den warmen Spätsommerabend. Dann geht Familie Wagner zu Bett. Am 4. September, gegen 5 Uhr früh, macht sich der Hauptlehrer an die Ausführung eines Verbrechens, das er seit vier Jahren plant. Er schlägt seiner Frau mit einem Totschläger auf den Kopf und sticht dann mehrmals mit einem langen Messer auf sie ein. Anschließend geht er in die Schlafzimmer seiner beiden Söhne und seiner beiden Töchter. Die vier Kinder tötet er durch zahlreiche Stiche in Hals und Brust. Nach vollbrachter Tat zieht er das blutige Nachthemd aus, wäscht sich und kleidet sich an. Er steckt einen kleinen Revolver ein, packt zwei Mauserpistolen und über 500 Schuss Munition in eine Reisetasche. Auf eine vor der Wohnungstür hängende Schiefertafel schreibt er: "Ausflug nach Ludwigsburg usw.". Danach verlässt er das Haus.

Von Stuttgart fährt Wagner mit dem Zug nach Ludwigsburg. Mit dabei hat er den "Elberfelder", sein geliebtes Fahrrad. In Ludwigsburg genehmigt er sich einen Imbiss. Dann macht er einen Abstecher in seinen Geburtsort Eglosheim. Beim Haus seines Bruders trifft er nur seine Schwägerin Martha Wagner an. Er erklärt, seine Kinder aus Mühlhausen holen und in der Nacht wiederkommen zu wollen. Nachdem er knapp die Hälfte seiner Munition in der Nähe des Hauses versteckt hat, geht er zurück zum Bahnhof. Nächste Station ist Bietigheim. Mit dem "Elberfelder" radelt er durch die Umgebung und gibt eine Reihe von Postsendungen auf, darunter eine Karte an seine Wirtin in Degerloch: "Ich bitte um Verzeihung, obwohl ich weiß, dass es keinen Wert hat, es war nicht anders zu machen. E. Wagner".

In Bietigheim kehrt er im Gasthof zur Krone ein. Gegen 7 Uhr abends bricht er in Richtung Mühlhausen auf. Dort angekommen, versteckt er das Fahrrad in einem Maisfeld. Er ersetzt seinen Filzhut durch eine Autofahrermütze, verbirgt die untere Gesichtshälfte unter einem schwarzen Schleier, legt an mehreren Stellen im Dorf Feuer. Wagner verbindet die beiden Mauserpistolen durch Schnüre mit seinen Handgelenken – vermutlich, um sie nicht zu verlieren. Dann geht er durch den Ort und schießt 20 Menschen (sowie zwei Stück Vieh) nieder. Neun von seinen Opfern sterben.

Jede der Pistolen hat zehn Schuss. Wagner vergisst das Nachladen. Weil er sich mit den Füßen in den viel zu langen Schnüren verwickelt (eine Freudsche Fehlleistung?), kann er nicht weglaufen. Einem Arbeiter und einem Polizeidiener gibt das die Gelegenheit, ihn mit Hacke und Säbel niederzuschlagen. Dabei wird ihm die linke Hand zertrümmert, zwei Säbelhiebe treffen sein Gesicht, die rechte Hand ist schwer verletzt. Man hält ihn für tot und lässt ihn auf der Straße liegen.

Um 2 Uhr nachts stellt ein Polizist fest, dass Wagner noch lebt. Der Hauptlehrer gibt an, in Degerloch auch seine Frau und die vier Kinder getötet zu haben. Eigentlich habe er am Ende Selbstmord begehen wollen, weshalb er nichts dagegen habe, wenn man ihm nun den Kopf abschlagen werde.  -  Hans Schmid, Telepolis vom  07.11.2009

Familienmensch (2)
 

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