ahrt   Als es nun Morgen wurde und die Kinder aufstanden, wurde der Zinnsoldat in das Fenster gestellt, und — war es nun der Kobold oder der Zugwind — auf einmal flog das Fenster auf, und der Soldat fiel kopfüber vom dritten Stock hinunter. Das war eine erschreckliche Fahrt! Er streckte das Bein gerade in die Höhe und blieb auf dem Tschako mit dem Bajonett zwischen den Pflastersteinen stehen.

Das Dienstmädchen und der kleine Knabe kamen sogleich hinunter, um zu suchen; aber obwohl sie beinahe auf ihn traten, konnten sie ihn doch nicht sehen. Hätte der Zinnsoldat gerufen: "Hier bin ich!", so hätten sie ihn wohl gefunden; aber er fand es nicht passend, laut zu schreien, weil er in Uniform war.

Nun fing es an zu regnen; bald fielen die Tropfen dichter, es wurde ein ordentlicher Guß; als er vorbei war, kamen zwei Straßenjungen.

"Guck mal", sagte der eine, „da liegt ein Zinnsoldat! Der muß hinaus und Kahn fahren!"

Und dann machten sie einen Kahn aus einer Zeitung, setzten den Soldaten mitten hinein, und nun fuhr er den Rinnstein hinunter; beide Jungen liefen nebenher und klatschten in die Hände. Gott bewahre uns! Was schlugen da für Wellen in dem Rinnstein, und welch ein Strom war da; ja, es hatte aber auch gegossen! Der Papierkahn schaukelte auf und nieder, und mitunter drehteer sich so geschwind, daß der Zinnsoldat zitterte; aber er blieb standhaft, verzog keine Miene, sah geradeaus und hielt das Gewehr im Arm. Mit einem Male trieb der Kahn unter ein langes Rinnsteinbrett; da wurde es so dunkel, als wäre er in seiner Schachtel. 'Wo mag ich nun hinkommen?' dachte er. ,Ja, ja, daran ist der Kobold schuld! Ach, säße doch die kleine Dame hier im Kahne, dann könnte es hier gern noch einmal so dunkel sein!'

Da kam plötzlich eine große Wasserratte, die unter dem Rinnsteinbrett wohnte.

"Hast du einen Paß?" fragte die Ratte. "Her mit dem Passe!"

Aber der Zinnsoldat schwieg still und hielt das Gewehr noch fester.

Der Kahn fuhr davon und, die Ratte hinterher. Hu, wie fletschte sie die Zähne und rief den Holzspänen und dem Stroh zu: "Haltet ihn! Haltet ihn! Er hat keinen Zoll bezahlt! Er hat den Paß nicht gezeigt!"

Aber die Strömung wurde stärker und stärker; der Zinnsoldat konnte schon vorn, wo das Brett aufhörte, den hellen Tag erblicken, aber er hörte auch einen brausenden Ton, der wohll einen tapferen Mann erschrecken konnte. Denke nur, wo das Brett endete, stürzte der Rinnstein gerade hinaus in einen großen Kanal; das würde für ihn ebenso gefährlich sein wie für uns, einen großen Wasserfall hinunterzufahren.

Nun war er schon so nahe daran, daß er nicht mehr anhalten konnte. Der Kahn fuhr hinaus, der arme Zinnsoldat hielt sich so steif, wie er konnte; niemand sollte ihm nachsagen, daß er mit den Augen blinzelte. Der Kahn wirbelte drei-, viermal herum und war bis zum Rande mit Wasser gefüllt, er mußte. sinken! Der Zinnsoldat stand bis zum Halse im Wasser, und tiefer und tiefer sank der Kahn, mehr und mehr löste das  Papier sich auf;  nun ging das Wasser über den Kopf des Soldaten. — Da dachte er an die kleine niedliche Tänzerin, die er nie mehr zu Gesicht bekommen sollte, und es klang vor seinen Ohren:

„Fahre hin, o Kriegersmann!
Den Tod mußt du erleiden!"

Nun ging das  Papier entzwei, und der Zinnsoldat stürzte hinab, wurde aber im selben Augenblick von einem großen Fisch verschlungen.  - (and)

Fahrt (2) Es war, als sei ich zu Beginn einer sehr langen Fahrt eingeschlafen und erst am Ankunftsort wieder erwacht, so daß mir die gesamte, maßlos andauernde Fahrzeit aus dem Leben entschwunden schien. Dennoch, sagte ich mir, sei etwas während dieser Fahrt geschehen ... ich hatte den Verdacht, irgendwann, an einem beliebigen Haltepunkt ausgestiegen zu sein, wo mir etwas geschehen war. Aber ich wußte nicht, was es war, es bedeutete nur, daß mich bald, in wenigen Tagen vielleicht, ein Unglück betreffen werde. Und ich sagte mir, daß ich es womöglich hätte abwenden können, wäre ich auf der zweiten Hälfte der Fahrt, nach jenem vergessenen Aussteigen, nicht wieder eingeschlafen. Während des Halts auf halber Strecke war ich in eine andere Wirklichkeit versetzt worden, und womöglich würde ein wichtiger Teil des zu erwartenden Unglücks darin bestehen, daß ich mich nicht mehr auf die zuvor erlebte Wirklichkeit berufen konnte. - (hilb2)

 

Fahren

 

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