abrik   Es war neun Uhr, als der Kommissar, dem die deutschen Behörden alle gewünschten Vollmachten erteilt hatten, im Leichenschauhaus eintraf, das um diese Zeit für den Publikumsverkehr geöffnet wurde.

Vergeblich suchte er nach einer dunklen Ecke, in der er einen Beobachtungsposten beziehen konnte, wenn er sich davon auch nicht viel versprach. Das Leichenschauhaus war ein moderner Bau wie die meisten Häuser der Stadt und fast alle öffentlichen Gebäude.

Es wirkte noch unheimlicher als das finstere alte Leichenschauhaus am Quai de l'Orloge in Paris, und zwar gerade wegen der klaren, übersichtlichen Einteilung, der eintönig weißen Wände, der grellen Beleuchtung und der glatten, sauberen Kühlmaschinen, die an ein Elektrizitätswerk erinnerten.

Man mußte dabei an eine moderne Fabrik denken, eine Fabrik, deren Rohmaterial menschliche Leichen waren.

Der falsche Louis Jeunet war da, weniger entstellt, als zu erwarten war, denn den Fachleuten war es gelungen, sein Gesicht halbwegs wiederherzustellen.

In der Nähe lag eine junge Frau, die im Hafen ertrunken und herausgefischt worden war.

Der Wärter, der in einer blitzsauberen Uniform vor Gesundheit strahlte, machte den Eindruck eines Museumswächters.

Maigret sah wider Erwarten innerhalb einer Stunde ungefähr dreißig Besucher vorbeiziehen. Als eine Frau eine Leiche sehen wollte, die nicht in der großen Halle ausgestellt war, begannen elektrische Glocken zu schrillen und Nummern wurden telefonisch durchgesagt.

Aus einem riesigen Schrank, der im ersten Stock die ganze Wand eines großen Raumes einnahm, glitt ein Kasten auf einen Lastenaufzug, und nach einigen Sekunden kam ein stählerner Behälter im Erdgeschoß aus dem Fahrstuhl heraus, wie in manchen großen Bibliotheken die Bücher im Lesesaal eintreffen. - Georges Simenon, Maigret unter den Anarchisten. München 1972 (Heyne Simenon-Kriminalromane 92, zuerst 1931)

Fabrik (2)  Dies da ist der glühende Ofen, in welchem Existentialismen fabriziert werden, hier bereitet Sartre aus glühendem Blei seine Verantwortlichkeits-Freiheit. Dort ist die Werkstätte der Poesie, wo tausend von siebentem Schweiße triefende Arbeiter im Sausen schwindelnder Bänder, Getriebe, mit immer schärferem superelektromagnetischem Messer in immer härterem Material operieren, dort wieder sind bodenlose Kessel, in denen Ideologien, Weltanschauungen und Glauben kochen. Da ist die Schlucht des Katholizismus. Dort weiter der Hochofen des Marxismus, hier der Hammer der Psychoanalyse, dies da die altesischen Brunnen Hegels und die phänomenologischen Bearbeitungsmaschinen, weiter dort die galvanischen Säulen und hydraulischen Pressen des Surrealismus oder auch der Pragmatik. Und die Fabrik saust und saust im Gelärme und Gewirbel und produziert und produziert immer vollkommenere Instrumente, und diese Instrumente wiederum dienen zur Verbesserung und Beschleunigung der Produktion, also wird das alles immer mächtiger, gewaltiger, immer präziser. Aber ich schlendere zwischen diesen Maschinen und Erzeugnissen mit nachdenklicher Miene und übrigens ohne größeres Interesse, ganz, als ginge ich durch den Garten, dort bei mir auf dem Lande.  - (gom)
 
 

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