xpropriation
ist die seit langem bestehende, taktvolle Bezeichnung für Raubzüge
zur Versorgung von Revolutionären mit nötigem
Nachschub. Die Geschichte dieser Enteignungstaktik harrt noch ihrer Beschreibung.
Wahrscheinlich gehen ihre Anfänge auf jenen historischen Moment zurück,
wo sich die Wege libertärer und autoritärer Strömungen der modernen revolutionären
Bewegung kreuzten und sich die Jakobiner mit den Sansculotten trafen: bei
Blanqui ausgehend von Bakunin. Gewiß stand die Wiege im zaristischen Rußland,
wo in den sechziger und siebziger Jahren Anarchismus und Terrorismus ein
bestimmtes Milieu kennzeichneten. Die Bombe, Standardausrüstung der russischen
Expropriatoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts, deutet auf die terroristische
Herkunft. (In der Bankraub-Tradition des Westens, mochte sie nun politisch
bestimmt oder ideologisch neutral sein, verwendete man stets Schußwaffen.)
Anfänglich war der Ausdruck »Expropriation« nicht so sehr eine beschönigende
Bezeichnung für Raubüberfälle als vielmehr typischer Ausdruck für jene
unter Anarchisten häufige Verwirrung, die Aufruhr
und Widerstand, Verbrechen und Revolution miteinander verwechselt - eine
Verwirrung, die nicht nur den Gangster als wahrhaft freiheitsbewußten Rebellen
ansieht, sondern sogar so einfache Aktionen wie etwa Plünderungen als einen
ersten Schritt der Unterdrückten auf dem Weg zur spontanen Enteignung der
Bourgeoisie. Die Exzesse einer irrsinnigen Randgruppe deklassierter Intellektueller,
die sich solchen Phantasien hingaben, ernst zu nehmenden Anarchisten zum
Vorwurf zu machen, wäre ungerecht. Andrerseits ist der Begriff »Expropriation«
auch für sie mit der Zeit zu einem Terminus technicus geworden. Er bezeichnet
einen Geldraub, der um einer guten Sache willen unternommen wird und sich
gewöhnlich - und bezeichnenderweise - gegen die Symbole unpersönlicher
Geldherrschaft, die Banken, richtet.
Es mutet nachgerade ironisch an, daß es nicht so sehr die lokalen und
verstreuten direkten Aktionen der Anarchisten oder Narodniki waren, deren
terroristischer Charakter die internationale revolutionäre Bewegung skandalisiert
hatte, sondern daß es vielmehr die Unternehmungen der Bolschewiki während
und nach der Revolution des Jahres 1905 waren, die Expropriationen zum
Skandalon werden ließen. Besonders schockierend wirkte sich der große Raub
von Tiflis (Tbilissi) im Jahre 1907 aus, durch den die Partei zu mehr als
200 000 Rubeln kam. Unglücklicherweise wurden da vor allem große und deswegen
auffällige Banknoten erobert, die exilierte Anhänger wie etwa Litwinow
- er wurde später Außenminister der UdSSR - oder L. B. Krassin - den nachmaligen
Außenhandelsminister der Sowjetunion — beim Umwechseln mit der westlichen
Polizei in Konflikt brachten. - (
hob
)