Explosionalismus  Vladimir konnte sich in das Material verwandeln, das verwundet ist, konnte aber auch zum Werkzeug werden, das verwundet, er konnte ein arbeitender Explosionsmotor sein, konnte nicht nur Wasser sein, das in ein Turbinenrad stürzte, sondern zugleich auch die Turbine, lange stand er vor einem werkelnden Betonmischer und rüttelte sich selbst in Form flüssigen Mörtels in die bereitgestellte Mulde, Verkehrszeichen erlebte er als reale Situation auf der Fernstraße und sah jeden Entwurf eines Bauplans augenblicklich als fertigen Bau, jeden Pflänzling vermochte er kraft seiner Phantasie zur Blüte und die Blüte zur Frucht zu bringen, jede Explosion konnte er so erleben, daß er das Bewußtsein verlor. Vladimir zuzusehen, wenn er mit Kindern spielte, war ein Erlebnis. Seine Verwandlungen in das Kind, mit dem er sprach, mit dem er spielte, denn wie ein Kind, so konnte auch Vladimir jedes gefundene Steinchen, eine Handvoll Sand, ein paar Blätter, all das vermochte Vladimir in Richtung Phantasie lebendig zu machen, alle von Vladimir gefundenen Gegenstände wurden m seinen behutsamen Fingern zu wertvollen Briefmarken, zur Juwelierware, zum Sprengstoff, seine Fabrik war für ihn deshalb eine Nationalgalerie, als Depositenkammer der kostbarsten Bullen und Urkunden, der Schatz in den Kellergewölben der Staatsbank, botanischer Garten und Nationalmuseum. Schritt er durch die Halle seiner Fabrik, dann ging mit ihm die Weltgeschichte aller bildenden Künste, dann hörte er die stärksten Sinfonien, dann bewegte er sich durch die Fabrik wie ein Hipster-Engel, wie ein Dharma-Landstreicher, der jedoch den kaputten Schlosseranzug so stolz wie ein Brumlover Dandy seine eleganten und modischen Kleider zu tragen wußte, jeder Gegenstand, der in irgendeiner Ecke der Fabrik herumlag, war für Vladimir ein Fortsetzungsroman, er kehrte den Staub von den Balken und Kisten der Fabrik wie ein Goldschmied, der bei der Bearbeitung eines Ringes oder goldener Broschen den Goldstaub in der Schürze auffängt, die offene Tür seiner Werkstatt verwandelte sich in das offene Tor zu einem Paradies, in dem Vladimir nie etwas zu verändern wünschte, alles, was er in der Fabrik sah, alles glitzerte in seiner Vorstellung, war von Mondesglanz übergössen, von magischem Schimmer, der sämtliche Maschinen und sämtliche Werkzeuge und überhaupt alles, was im Bereich seiner Augen lag, mit Quecksilber überzog.

Vladimir wollte also nicht ein bloßes Abbild, ein Spiegelbild seiner Fabrik liefern, auch keine Selbstbetrachtung, nicht zeigen, wie auch die anderen arbeiteten, sondern bemühte sich, selbst zur Fabrik zu werden, zur Arbeit zu werden, einzufließen in die Arbeitsvorgänge und dabei jeweils alles durchzumachen, was das Material und die Werkzeuge durchmachten, worunter seine Dural- und Kupfermatrizen litten, welche Farben das erhitzte Metall verzierten, wenn es von Schmetterlingsrot zu hellem Blau abkühlte, wie die Farbstruktur von Hammerschlag und azetylengeschweißten Platten war, und sich schließlich selbst samt der Matrize durch die Handpresse zu zwängen, wie Bettwäsche durch die Mangel, um seinen dreidimensionalen Leib in ein zweidimensionales graphisches Blatt umzuwandeln, um in die eindimensionale Zeile seines Tagebuchs schreiben zu können: Ich bin, wer ich bin.    - Bohumil Hrabal,  Ein Dandy im Schlosseranzug.  In B. H., Leben ohne Smoking. Frankfurt am Main 1993

Avantgarde Explosion

 

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