xhumierung
Smitts Anweisung, die Wand an der von ihm umrissenen Stelle
aufzubrechen, hätte nicht Folge geleistet werden dürfen. Allen war aus
der Unfallfortbildung der Vorrang der Kanalgrundsekurität vor dem
Erkundungsnotstand gut bekannt. Aber statt Smitt auf die
Befugnisüberschreitung aufmerksam zu machen, habe seine gesamte
unterirdische Mannschaft - der Assistent schloß sich hier ein - in einem
wahren Furor das verlangte Loch in die massive, fast fugenlos gefügte
Wand gerissen. Dabei hätten sie mit dem zufällig mitgeführten Werkzeug
Vorlieb genommen, weil ihnen allen jegliche Verzögerung als eine
Zumutung erschien. Auch ihm, dem Assistenten, sei es eiskalt und doch
befeuernd über die schweißnasse Rückenhaut geschauert, wenn Smitt immer
aufs neue »Holt ihn ans Licht, unseren schwarzen Bub!« in ihren
Arbeitslärm, ins Keuchen ihrer Anstrengung gerufen habe.
Der Zustand der freigegrabenen Leiche war erstaunlich.
Wir konnten leicht modifizierte Fotos und Videosequenzen an Presse und
Fernsehen weitergeben. Zwei große Wochenzeitschriften brachten den
Kanalsoldaten auf ihrer Titelseite und spekulierten dabei ganz zu Recht
mehr auf die Rührung denn auf das Entsetzen ihrer Käufer. Allerdings war
es übertrieben oder gefühlsselig gelogen, wenn manche Journalisten
schrieben, der Körper des Toten wäre wunderbar unversehrt, wie frisch
verstorben im Erdreich aufgefunden worden. Der einst vom Schlamm des Großen Bruchs
begrabene Bundeswehrler, den Smitt und seine Männer nach fast drei
Jahren doch noch geborgen hatten, zeigte durchaus Spuren der Zeit. Zwar
stimmt es, daß sein Muskelfleisch und seine Haut nicht von Verwesung
angefressen, sondern nur schwärzlich aufgequollen waren und daher das
Gesicht im wesentlichen Form und Ausdruck beibehalten hatte. Auch war
der Leiche nicht das kleinste Knochenbein gebrochen. Aber die Augen, die
offenen Augen hatten auf Dauer der laugigen Schärfe des Sickerwassers
nicht widerstehen können. Die Hornhäute waren aufgeweicht und hatten
sich als Film, als grauer Schmierfilm, auf die Innenhöhlung der Augäpfel
gelegt. Bevor das Video für das Fernsehen freigegeben wurde, hatte es
Smitt deshalb ein wenig umgestaltet. Für die eigentlich kleine und nach
Aussage des Assistenten auch nicht schwierige Veränderung schloß er sich
volle drei Tage und zwei Nächte in seine Arbeitsräumc ein. Dem fertigen
Film gelang es dann, nicht nur die Kameraden und die Angehörigen zu
schonen. Nein, auch dem aus dem Erdreich Aufgestörten wurde Smitt
gerecht. Um selbst den Toten noch mit seinem Abbild zu versöhnen, schloß
Rohbilddeuter Smitt die schrecklich hohlen Augen mit blau schimmernden
Lidern - artiflzell und glaubwürdig zugleich in ihrer Virtualität.
- Georg Klein, Anrufung des blinden Fisches. Berlin 2000
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