verybody's darling »Verzeihen Sie, Madame ...« Nach minutenlangem, geduldigem Bemühen gelang es Maigret endlich, seine Besucherin zu unterbrechen. »Sie sagen mir gerade, daß Ihre Tochter Sie langsam vergiftet?«

»Ja, das ist wahr.«

»Eben haben Sie mir aber nicht weniger bestimmt versichert, Ihr Schwiegersohn versuche im Flur immer das Mädchen abzupassen, um dann heimlich Gift in Ihren Kaffee oder einen Ihrer vielen Gesundheitstees schütten zu können.«
»Ja, das stimmt auch.«
»Aber ...« Er blickte auf die Notizen, die er sich während der schon länger als eine Stunde dauernden Unterhaltung gemacht hatte, oder tat wenigstens so - »Sie haben mir zu Anfang gesagt, daß Ihre Tochter und deren Mann sich hassen?«

»Auch das ist genau die Wahrheit, Herr Kommissar.«
»Und sie trachten Ihnen gemeinsam nach dem Leben?«
»Aber nein. Im Gegenteil, sie versuchen jeder für sich, mich zu vergiften, verstehen Sie?«
»Und Ihre Nichte Rita?«
»Versucht es ebenfalls für sich.«

Es war Februar. Das Wetter war mild und sonnig; nur bisweilen zeigte sich eine dunkle Wolke am Himmel, aus der dann ein Regenschauer herniederging. Seit seine Besucherin da war, hatte Maigret schon dreimal in seinem Ofen gestochert, dem letzten Ofen im Hause, den er mit so viel Mühe gerettet hatte, als hier am Quai des Orfevres die Zentralheizung eingebaut worden war. Die Frau, die einen schweren Pelzmantel über ihrem schwarzen Seidenkleid trug und wie eine Zigeunerin mit Schmuckstücken aller Art überladen war - mit Ohrringen, Ketten, Armbändern, Broschen -, mußte bereits ganz in Schweiß gebadet sein. Sie wirkte im übrigen mit ihrer dick aufgetragenen grellen Schminke, die sich in der Hitze langsam aufzulösen begann, eher wie eine zweifelhafte ›Künstlerin‹ als eine Dame der Gesellschaft.

»Drei Personen also versuchen, Sie zu vergiften.«
»Sie versuchen es nicht, sie sind schon dabei.«
»Und Sie behaupten, daß es jeder ohne Wissen des anderen tut.«
»Ich behaupte es nicht, ich weiß es.« - Georges Simenon, Maigret und sein Toter. München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 2, zuerst 1947)

Liebe
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