ventualität
Früher ging ich nie aus, ohne mich endgültig von allem verabschiedet zu haben,
was sich bei mir zu Hause an umschlingenden Erinnerungen angesammelt hatte,
von allem, was dort von mir fortbestehen wollte. Die Straße, die ich imstande
glaubte, meinem Leben ihre überraschenden Windungen preiszugeben, die Straße
mit ihrer Rastlosigkeit und ihren Blicken war mein eigentliches Element: hier
schnupperte ich wie nirgends sonst die Luft des Eventuellen.
Jede Nacht ließ ich die Tür meines Hotelzimmers sperrangelweit offen, in
der Hoffnung, endlich neben einer Gefährtin aufzuwachen, die ich nicht gewählt
hatte. Erst später fürchtete ich, daß mich die Straße und diese Unbekannte ihrerseits
einfangen könnten. Aber das ist eine andere Angelegenheit. Offen gestanden bin
ich nicht sicher, ob man in diesem ständigen Kampf siegen kann, dessen häufigster
Ausgang es ist, das Spontanste und Kostbarste in der Welt erstarren zu lassen:
der oft so scharfblickende Apollinaire war wenige Monate vor seinem Tod zu jedem
Zugeständnis bereit; Valery, der würdevoll seine Absicht zu schweigen bekundet
hatte, ist heute willfährig und erlaubt die schlimmsten Verfälschungen seines
Denkens und seines Werks. Keine Woche vergeht, in der man nicht von einem achtbaren
Geist erführe, der sich »angepaßt« hat. Man kann sich scheinbar mehr oder weniger
ehrenhaft verhalten, das ist alles. Ich zerbreche mir noch nicht den Kopf darüber,
zu welchem Schub ich einmal gehören werde, wie lange ich durchhalte. Bis auf
weiteres billige ich alles, was die Klassifizierung der Menschen, der Ideen
verzögern, mit einem Wort, die Vieldeutigkeit erhalten kann. Mein größter Wunsch
ist, mir noch lange den herrlichen Satz Lautréamonts zu eigen machen zu können:
»Seit dem unaussprechlichen Tag meiner Geburt gilt mein unversöhnlicher Haß
den einschläfernden Gewißheiten.« - André Breton,
Verächtliche Beichte. In: Der Pfahl VII. München 1993 (zuerst 1924)
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