Europäer  Auf der Stufenleiter des Lebendigen höhersteigend, kommen wir zuletzt zu den weißen Europäern. Sie, die am weitesten von den tierischen Geschöpfen entfernt sind, dürfen darum als die schönsten der menschlichen Rasse gelten. Niemand wird die Überlegenheit ihrer intellektuellen Fähigkeiten bezweifeln. Und ich meine, daß natürlich auch ihre übrigen Fähigkeiten denen jedes anderen Menschen überlegen sind. Wo sonst wird man, außer bei Europäern, einen so edel gewölbten Kopf mit einem so großen Gehirn finden, der auf einer so majestätischen Wirbelsäule ruht? Wo dieses ebenmäßige Gesicht, die ausgeprägte Nase und das runde, vorspringende Kinn? Wo diese Vielfalt der Gesichtszüge und diese Fülle des mimischen Ausdrucks, die langen, wallenden, anmutigen Locken, den majestätischen Bart, die rosigen Wangen und korallenfarbenen Lippen? In welchem anderen Teil der Erde gibt es das sanfte Erröten, das die weichen Züge der schönen Frauen Europas überzieht, dieses Zeichen der Zurückhaltung, des feinsinnigen Takts und Verstehens? Wo den liebenswürdigen Ausdruck einer zarten und sanften Leidenschaft im Betragen sowie die allgemeine Eleganz der Gesichtszüge und des Teints? Wo, außer am Busen der europäischen Frau, zwei so pralle, schneeweiße, zinnobergekrönte Halbkugeln?    - Charles White 1799, nach: Stephen Jay Gould, Das Lächeln des Flamingos. Basel, Boston, Berlin 1989

Europäer (2)   Pix, einer der hellblauen Löwen, sagt: »Die Treue des Weibes ist nicht viel mehr als Hundetreue - nimmt man ihr den Futtersack weg, so verhungert sie.«

»Passt allerdings,« meint Plusa leise, »nicht auf die Hetäre Abbasah - stimmt überhaupt nicht. Auch der Vergleich mit den Hunden ist schief; die sind viel treuer als die Weiber. Pix, Du bist der vorsichtigste Löwe - und drum der Weiseste.«

Olli mit seinem bekannten Scharfsinn bemerkt lächelnd: »Der tiefste Schmerz des Weibes kommt dann zum Ausdruck, wenn die liebende Dame einsieht, dass ihre sexuale Bedeutung dem Manne nicht genügt. Das ist tötlich für alle Weiber und macht sie ganz und gar zu rachsüchtigen Hetären.«

»Das passt,« brummt Plusa wieder, »ebenfalls nicht hierher. Es wäre doch wohl besser, wenn die Europäer ein paar Weisheiten loslassen wollten. Europäer, redet! Möglichst furchtlos, wenn ich bitten darf!«

Und die Europäer senden muthig einen muthigen Gelehrten vor, der einen kahlen Kopp hat, einen Kneifer auf der Nase trägt, etwas dickbäuchig ist und folgendermassen zu reden beginnt - mit einem kleinen Manuskript in der Hand:

»Hochverehrte Löwen der Weisheit! Allmächtige Meister der Tragik und Komik! Wir haben eifrig zugehört und zugesehen und unsre Sinne nicht wenig ergötzet. Das Kunstwerk als solches gefällt uns; wären wir in Europa, wir würden aus dem Klatschen garnicht heraus kommen. Aber Eines erscheint uns bedenklich: der didaktisch-symbolische Kern der Sache will uns nicht so recht munden. Wir sollen doch zum Haremismus bekehret werden. Es wird uns aber der Harem durchaus nicht in verlockenden Farben und Formen vorgeführt. Ist das nicht ein Fehler?« Der kahlköpfige Herr kraut sich mit der Linken hinterm rechten Ohr und studirt sein Manuskript. Plusa nähert sich dem muthigen Manne und beugt sein Haupt nach unten -reisst seinen ungeheuren Rachen auf und beisst mit einem Haps dem Mann aus Europa den kahlen Kopf ab - knackt ihn auf und schluckt ihn sammt dem Kneifer runter. »Nee, so was!« schreien die Europäer und machen die Augen zu.

Plusa sagt aber schmunzelnd, während der kopflose Rumpf vor ihm umfällt:

»Siehst Du, mein Jungchen, so geht es Jedem, der an Meister Raifu was zu tadeln findet. Tadelnde Kritiker sind, wenn Du das noch nicht wissen solltest, zumeist vom Stamm der Parasiten. Hat sonst noch Jemand was zu sagen oder zu fragen? Sehr gut! Die europäischen Menschenköpfe schmecken auch nicht besonders. Dem nächsten Naseweisen werd' ich daher den Kopf blos aufknacken und dann ausspucken. Aber merkt es Euch: haarige Köpfe mag ich nicht!«  - Paul Scheerbart, Der Tod der Barmekiden. Arabischer Haremsroman. München 1987 (zuerst 1897)

 

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