ulenspiegel   Galgenhumor, Spaß, Spott, Ironie, Hohn also als letzter Strohhalm, als Rettungsanker, um nicht abzusacken; auch als Ventil. Es ist vielleicht so abwegig nicht, hier, von der jüdischen Anekdote, vom jüdischen Witz - die ja vor allem in ihrer Ursprache, dem Jiddischen, lebten (das sich aus mittelalterlichen deutschen Dialekten gebildet hat und von einer unterdrückten und ins Ghetto abgedrängten Minderheit gesprochen und vom fahrenden jüdischen Händler verbreitet worden ist) -, auf eine weitere damalige Minorität hinzuweisen. Eine Minorität nun allerdings, die sehr viel freier, sehr viel unabhängiger und weitaus bunter und heterogener zusammengewürfelt war, als die eben genannte. Und eine Minorität infolgedessen auch, die sich des Spotts, des Spaßes, des Humors weit aggressiver, wesentlich handfester, viel deftiger, derber, schlagkräftiger im wahrsten Sinne des Wortes bediente, als die vorher erwähnte: Ich meine die Unsteten, die Fahrenden. Den Schausteller; den Possenreißer; den Bärenführer; den Kesselflicker; den wandernden Handwerksgesellen; den desertierten Soldaten; den runtergekommenen Geistlichen; den Teufelsaustreiber; den vagabundierenden Intellektuellen: Eben jene asoziale Gesellschaft, die sich nicht zur Gesellschaft rechnet; eben jene Aufsässigkeit und Unruhe verbreitenden Geister, die aber dann doch wieder den Bodensatz und die Hefe eines Volkes ausmachen; eben diese Außenseiter-Gruppe, zu der auch Till Eulenspiegel sich zählt.

Wenn Sie vom »Bruder Eulenspiegel« sprechen — ach bitte: an welchen Till denken Sie dann? Dürfte nicht, am historischliterarischen Vorbild gemessen, jener durchaus ehrende Titel jetzt eigentlich nur an einen außerhalb der Gesellschaft Stehenden und nicht an einen eben diese Gesellschaft Repräsentierenden gehen? Till Eulenspiegel, der sich nie in eine Gemeinschaft gefügt hat, der immer kraß asozial, kraß egozentrisch, immer einzelgängerisch, immer querköpfig blieb — mit 16 ein phlegmatischer Hippie; mit 30 ein boshaft-sarkastischer Arbeitsloser aus innerster Überzeugung; mit 40 ein ätzender Zeit- und Gesellschaftskritiker, auf niemandes Seite stehend, oft nicht mal auf seiner eigenen; mit knapp 50 ein verbitterter, Gift und Galle spuckender Spitalpatient, dessen einzige letzte Lebenserleichterung es blieb, daß er sich totlachen durfte -: Dieser Dreschflegel an Unflat, diese Jauchegrube an Derbheit, dieser aus tiefstem Herzen antiautoritäre Bauernschädel, dieser geniale Einfaltspinsel, dieser Bloßsteller und Entlarver, dieser Todfeind der Aufgeblasenheit.   - Wolfdietrich Schnurre, nach (narr)

 

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