tage  Wer die Wohnhäuser, wie sie jetzt in den großen Städten gebaut werden, etwas genauer betrachtet, der kann aus diesen stummen, steinernen Massen die ganze heutige Gesellschaftsorganisation, die auf der systematischen Ausbeutung Vieler durch Wenige oder gar durch Einzelne beruht, herauslesen. Erste Etage: Bewohnt der Hausbesitzer und Bourgeois höchstselbst mit Familie. Ist hübsch geräumig, von allen Etagen die gesündeste und die bequemste. Zweite Etage: Kommt der ersten so ziemlich gleich. Hier wohnt eine ›Herrschaft‹, ›die es machen kann‹ und welcher der Herr Bourgeois und Hausbesitzer deshalb ungeheuere Bücklinge macht, denn der ›Herrschaft‹, die Geld genug hat, ist es gleichgültig, ob sie alljährlich mit 50 Talern übersetzt wird oder nicht. Mietpreis 500-600 Taler.

Dritte Etage: Wenn keine Herrschaft sich findet, wird die dritte Etage an verschiedene Familien verteilt. Der Hausbesitzer ist hier noch höflich, aber vergibt sich dadurch nichts von seiner Bourgeois-Würde. Ist sein Rücken von der zweiten Etage noch etwas krumm, so wird er in der dritten augenblicklich bolzgerade und steif. Mietpreis für eine Familie 300-400 Taler. Vierte Etage: Der Herr Hausbesitzer hat nicht Zeit, sich mit all den Leuten abzugeben, die hier wohnen; er sieht sie nur bei seiner ›Arbeit‹, beim Einstreichen des Mietzinses, und vergißt deshalb, da er sie nicht kennt, zuweilen in der vierten Etage ihren Gruß zu erwidern; Rücken korporalmäßig steif. Mietpreis 150-200 Taler. Unter der Erde: Habenichts, Arbeiter, die eigentlich gar keine Wohnung brauchten, wenn die Herren Hausbesitzer nicht wieder so ›human‹ wären und ihnen ihre stinkenden, feuchten dumpfen Kellerlöcher überließen. Bei dergerinsten ›Störung der Hausordnung< werden sie mit der bekannten Humanität auf die Straße geworfen. Mietpreis 40-50 Taler.

Eine der schönsten Tugenden der Hausbesitzer ist das Steigern der Mietpreise, in Leipzig ›Übersetzen‹ genannt. Gewöhnlich zu Neujahr kommt der Hausherr, gratuliert, wenn er nicht so hochmütig ist, jammert über die teuren, stets steigenden Preise aller Lebensbedürfnisse, die durch die Streiks und die bösen Sozialdemokraten in die Höhe getrieben worden seien und schlägt ›in Gottes Namen‹ so ein vierzig oder fünfzig Tälerchen auf den Mietzins drauf. - Der Volksstaat Nr. 63, 25. Juli 1873, nach: Frederick Hetmann, Rosa L. - Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer Zeit. Frankfurt am Main 1979

 

Haus Hierarchie

 

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