Eßzimmer  Er hatte zuerst den Eindruck, daß das Schlüsselloch eine große Küchenschabe war, und wollte sie schon zerdrücken, als er erkannte, worum es sich in Wirklichkeit handelte.

Der Schlüssel paßte genau hinein; die Tür ging auf, und Bill sprang mit einem Satz zurück.

Scharfer, beißender Geruch, der Gestank von Verwesung und Erbrochenem verbrannte ihm die Nasenschleimhäute.

Was er im dämmrigen Licht erblickte, war zumindest seltsam und keineswegs einladend. Er stand vor einem großen Raum, der überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem Zimmer hatte, sondern wie der Hohlraum eines bizarren Zylinders aussah. Die Wände erinnerten nur durch ihre Geschlossenheit an Wände, denn die Mauern waren mit Leder tapeziert und von tiefen Falten und Spalten durchzogen.

Bill mußte sich erst an das Halbdunkel gewöhnen, bevor er bemerkte, daß eine Art Zucken, eine langsame, regelmäßige Wellenbewegung die Wände durchlief. Entlang der Spalten trat eine Flüssigkeit aus, die dann reichlicher zu fließen begann, während der widerliche Gestank nach Erbrochenem immer stärker wurde.

»Was ist das für ein Dreck ...« begann Bill.

Weiter kam er nicht. Die Wände wogten entsetzlich rülpsend und stießen einen Haufen Trümmer aus, die auf den Boden der Halle rollten. Dann fiel die Tür krachend ins Schloß.

Cockspur war auf der letzten Stufe der Treppe zusammengebrochen, und sein Blick schweifte vom Kadaver zu den Emailaugen und von dort zu den Gebeinen, die das geheimnisvolle Zimmer von sich gegeben hatte — Schienbeine, Rippen, Wirbel —, dann brach er in irres Lachen aus und sagte eine Zeile aus einer Fabel auf, die er einst in der Schule gelernt hatte:

Roll something large and round.

Ein Schädel war ihm vor die Füße gerollt.  - Jean Ray, Das Storchenhaus. Frankfurt am Main 1986

Eßzimmer (2)  Am Tisch sitzen macht keinen Spaß mehr. Der Hausherr und ich sitzen im Eßzimmer am langen Tisch und unterhalten uns. Natürlich sind Plätze frei, denn es ist ein langer Tisch. Die leeren Stühle stehen in gerader Reihe nebeneinander, zum Draufsitzen. Wir beachten sie nicht, wir denken gar nicht daran, wir tauschen Gedanken aus. Nun kommt in einem dieser Gedanken ein Nachbar vor. Der Förster. Kaum haben wir den Förster erwähnt, haben Förster gesagt, oder der Grüne, oder Grüner oder nur des Jägers, da öffnet sich die Tür und er huscht an den Tisch, legt das Gewehr in den Schoß und hört zu. Der Hausherr sagt Hund oder dem Hunde, da wedelt es herein, bellt, wird vom Förster beklopft. Später ein Bauer, auch der Bürgermeister stiefelt herein. Bald ist der Tisch voll stummer Gäste. Taucht ein neuer Name auf, so wenden sich alle zur Tür. Einer tritt zu früh ein. Etwa, daß der Hausherr von einer bestimmten Baumgruppe gesprochen hat. Schon tritt, Beil in der Hand, der Holzfäller ein. In einer einzigen Gruppe erheben sich die Gäste und drängen den sich Wehrenden wieder zur Tür hinaus. Minuten später fällt sein Name wirklich, er darf eintreten. Oder wir vermeiden seinen Namen und kommen schnell auf ein anderes Thema. Neue Herren drängeln sich ins Zimmer. Hinter ihnen sehen wir, draußen in der Diele, das enttäuschte Gesicht des Holzfällers, der nun warten muß. Dann sage ich: Holzfäller und dieser springt dankbar zum Tisch.

Stellt man die Gäste zur Rede, sagen sie: Ich gehöre hierzu, ich bin dabei, wenn Sie reden, wenn Sie reden, sind Sie nicht allein, wir sind immer mit am Tisch. Triumph für uns beim Verlassen des Zimmers der Blick zurück ins Zimmer, wo die Gäste mit Haustieren und Gerät noch sitzen.  - Reinhard Lettau, In der Umgebung. In: R. L., Feinde. München 1968

 

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