s    «Halten Sie die Lampe hoch», befahl Haberden, als wir eintraten und uns schnell im Zimmer umblickten. «Dort ist es», Dr. Haberden atmete schwer, «dort in der Ecke.» Ich sah in die angegebene Richtung, und mein Herz krampfte sich zusammen vor unaussprechlichem Grauen: dort auf dem Fußboden wälzte sich eine dunkle, glitschige Masse, die zu gären schien vor Moder und Fäulnis, die weder flüssig war noch fest, sondern sich vor meinen Augen ständig verwandelte und mischte und auf deren Oberfläche ölige Blasen blubberten wie kochendes Pech. In der Mitte glühten zwei Punkte wie Augen, und ich sah etwas wie Glieder sich bewegen und regen, etwas sich heben und wieder senken, das von ferne einem Arm ähnelte. Der Doktor machte einen Schritt vorwärts und hieb mit dem eisernen Werkzeug auf die glühenden Punkte ein, in die es tief eindrang. In der Wut seines Ekels bohrte er die Waffe immer und immer wieder hinein.  - Arthur Machen, Die Geschichte vom weißen Pulver. In: A.M., Die leuchtende Pyramide. Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 16, Hg. Jorge Luis Borges

Es (2)  Kiki drehte sich rasch um und erhob sich fragend von der Bank, auf der sie gesessen hatte. Doch noch ehe sie mehr als das tun konnte, war es vor ihr, hatte sie es selbst gesehen. Es war eines dieser unglaublichen Bilder, an das der Geist sogar im Augenblick der Wahrnehmung nicht zu glauben vermag. Das dort unten am Boden war ein Kopf, der durch die offenstehende Tür aus dem Zimmer draußen auf sie zukam. Der Kopf von irgend etwas, viel mehr konnte sie in diesem ersten schrecklichen Moment zur Identifizierung nicht beitragen; irgendein Angehöriger der Katzensippe; Leopard - Panther waren Bezeichnungen, die nacheinander in ihrem verstörten Geist aufblitzten.

Der Kopf war schwarz, schaufelförmig, hatte tückisch angelegte Ohren, das Maul am Teppich; kam schnell herein, erweckte den Eindruck einer zickzackartigen Wellenbewegung. Das war alles, was sie abwartete. Ein Schrei fuhr gellend aus ihr heraus, um sich dem des Mädchens anzuschließen; sie wirbelte herum und sprang mühelos und mit angeborener Behendigkeit, die die Tänzerin in ihr verriet, auf ihre Frisierkommode. Parfumflakons, Puderdosen und anderer Schnickschnack regneten rings um sie herum zu Boden, einschließlich einer kleinen Spieldose, die augenblicklich eine klimpernde Melodie erklingen ließ. Aufgescheucht stand sie dort oben, die Röcke eng an die Schenkel geklatscht und verteidigend damit hin und her wedelnd, um den Schrecken abzuwehren. - Cornell Woolrich, Schwarzes Alibi. München 1986 (zuerst 1942)

Es (3) »Säle oder Eßzimmer - das ist ziemlich dasselbe«, meinte Miss Miller. »Es hängt ganz von der entourage ab. Jedenfalls«, sie stemmte ihren Fuß etwas fester in den Kiesfleck, der die Bank umgab, »war es durch eins jener Fenster, daß ich es davonlaufen sah.«

»Was haben Sie davonlaufen sehen?« »Gerade das, mein Schatz, konnte ich nie genau beschreiben«, erklärte Miss Miller, und wie ein Kakadu auf der Stange beugte sie ihre lange Nase und die Hutkrempe zu dem kleinen Mädchen hinunter. »Es gibt eben solche, die weglaufen, und solche, vor denen man selber wegläuft, und immer ist es der Abstand, welcher die Aussicht so reizvoll macht. Sagen kann ich nur, daß es etwas oder jemand gewesen zu sein schien, den ich nicht gern gehen lassen wollte, weißt du. Und dann der segelnde Mond! Genauso, wie es im Gedicht heißt.« Und wieder verfiel Miss Miller der Poesie:

»Die Blätter und Zweige wie Silber,
Und Tau, dick wie Reif, auf dem Gras;
Und nichts als der Mond und sein Schimmergeflimmer -
Und ich starr' hinaus durch das Glas.

Ich sage starren, Pollie, obgleich wir uns einig sind, daß das nicht höflich ist. Aber politesse beiseite, wie der Barbier sagt, von dem Fenster aus war es nicht zu sehen. Und warum nicht? Einfach darum, mein Kind, weil es schon verschwunden war. Also da wären wir nun.«

»Wo?« fragte die Kleine.

»Was heißt, wo?«- »Natürlich dort«, erwiderte Miss Miller. - Walter de la Mare, Die Orgie - Eine Idylle. Phantastische Erzählungen. Mit Zeichnungen von Edward Gorey. Zürich 1965

Es (4)   Es blieb an der Türe stehen, als wenn es gleich wieder hinausschlüpfen wollte, legte die rechte Hand vor die Brust und die linke vor die Stirne und bückte sich tief: „Tritt näher, liebe Kleine", sagte Wilhelm. Sie sah ihn mit unsicherm Blick an und kam herbei.

„Wie nennst du dich?" fragte er. „Sie heißen mich Mignon", antwortete sie. „Wieviel Jahre hast du?" - „Es hat sie niemand gezählt." - „Wer war dein Vater?" - „Der große Teufel ist tot." Die letzten Worte erklärte man ihm, daß ein gewisser Springer, der vor kurzem gestorben und sich den großen Teufel nannte, für ihren Vater sei gehalten worden. Sie brachte ihre Antworten in einem gebrochenen Deutsch und mit einer Art vor, die Wilhelmen in Verwirrung setzte, dabei legte sie jedesmal die Hände an Brust und Haupt und neigte sich tief.

„Was soll nun diese Gebärde bedeuten", sagte Frau Melina, „das ist wieder etwas Neues, so hat sie alle Tage etwas Sonderbares." Sie schwieg, und Wilhelm konnte sie nicht genug ansehen. Seine Augen und sein Herz wurden unwiderstehlich von dem geheimnisvollen Zustande dieses Wesens angezogen. Er schätzte sie zwölf bis dreizehn Jahre. Ihr Körper war gut gebaut, nur daß ihre Knöchel und Gelenke einen stärkern Wachstum versprachen oder einen zurückegehaltnen ankündigten. Ihre Bildung war nicht regelmäßig, aber auffallend, ihre Stirne kündigte ein Geheimnis an, ihre Nase war außerordentlich schön und der Mund, ob er schon ein wenig aufgeworfen war und sie manchmal mit demselben zuckte, doch noch immer treuherzig und reizend. Ihre Gesichtsfarbe war bräunlich, mit wenigem Rot ihre Wangen besprengt, überhaupt von der Schminke sehr verdorben, die sie auch jetzo nicht anders als mit dem größten Widerwillen auflegte. Wilhelm sah sie noch immer an und schwieg und vergaß der Gegenwärtigen über seiner Betrachtung. Frau Melina weckte ihn, indem sie dem Kinde ein Zeichen gab, das nach einem Bücklinge wie oben blitzschnell zur Türe hinausfuhr.

Wilhelm konnte diese Gestalt nunmehr nicht loswerden. - Goethe, Wilhelm Meisters theatralische Sendung

Es (5) ist nicht grob, nicht fein; nicht kurz, nicht lang; blutlos, fettlos; schattenlos, finsterlos; windlos, raumlos; ohne Haftung; ohne Tastsinn, ohne Geruchssinn, ohne Geschmackssinn, ohne Gesichtssinn, ohne Gehörsinn; ohne Sprachfähigkeit, ohne Denkfähigkeit; ohne Wärme, ohne Atem, ohne Mund; ohne Name, ohne Geschlecht; nicht alternd, nicht sterbend; bedrohungslos, unsterblich; ohne Raum, ohne Laut; nicht geöffnet, nicht geschlossen; nicht folgend, nicht vorangehend; nicht außen, nicht innen. Nichts langt hin zu ihm, niemand langt hin zu ihm. - Upanishad

 Es (6) ist alles so finster heute, so trübe, blöde und öd. Es ist alles so lahm und schwer, so drückend und so langsam, es schleppt sich alles so dahin. Es fängt nichts an, es geht nichts weiter, es hat keinen Zweck mehr, es hilft nichts, es kommt keine Sonne auf, weder am Himmel, noch im Herzen. Es ist alles so laut, es ist so kalt, es ist so stumm, es blendet, es nützt nichts. Es macht keinen Spaß, es geht auf die Nerven, es tötet, es ist ein unbeschreiblicher Zustand. Es ist nichts Neues, es ist nicht erklärbar, es hört nicht auf, es ist überall. Es macht den Kopf kaputt, es hindert am Atmen, es tut den Augen so weh, es ist so leer, es ist nichts. Es ist alles so unruhig, es ist so heiß, es ist so entsetzlich hell, es macht so müde, es rast und rast. Es geht die Zeit nicht rum, es kommt keine frische Luft, es rührt sich nichts, es ist so ein Lärm, es flimmert immer so, es kommt keiner und sagt, daß alles so öde heute ist, so kalt und so still und daß es nicht mehr zum Aushalten ist.  - Jürgen Becker, Ränder. Frankfurt am Main 1969

Ding

 

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme