rzählung
(hübsche)
Ich hörte von der Tochter eines sehr großen Souveräns, die, toll verliebt
in einen Edelmann, sich ihm derartig preisgab, daß sie, nachdem sie die ersten
Früchte seiner Liebe gepflückt hatte, so geil danach wurde, daß sie ihn einen
ganzen Monat in ihrem Kabinett behielt und ihn mit Erfrischungen, mit leckeren
Kraftsuppen, mit köstlichem und die Kraft wieder ersetzendem Fleisch nährte,
um seine Destillierblase besser in Tätigkeit zu setzen und seinen Stoff herauszupumpen;
nachdem sie ihre erste Lehrzeit unter ihm abgeschlossen hatte, nahm sie weitere
Lektionen bei ihm, solange er lebte, und bei anderen; darauf vermählte sie sich
im Alter von 45 Jahren einem Herrn, der nichts dabei zu erwähnen fand, sondern
über den schönen Ehestand, den sie ihm bescherte, sehr glücklich war. Boccaccio
gibt ein Sprichwort wieder, das zu seiner Zeit im Schwange war: ›Ein geküßter
Mund (andere sagen, ein gef. . . Mädchen) verliert nie sein Glück, sondern erneuert
es stets, genau wie der Mond.‹ Dieses Sprichwort bringt er bei einer Geschichte
vor, die er von jener schönen ägyptischen Sultanstochter erzählt, die sich von
den Spießen neun verschiedener Liebhaber, einer nach dem andern, wohl mehr als
dreitausendmal bügeln und plätten ließ. Zuletzt erhielt sie der König von Garbo
als reine Jungfrau, das heißt, er hielt sie dafür, es war so gut, als wenn sie
ihm gleich am Anfang zugesprochen worden wäre; er fand nichts daran zu tadeln
und befand sich vielmehr sehr wohl dabei. Es ist eine sehr hübsche Erzählung.
- (
brant
)
Erzählungen
(2, alte)
»Glauben Sie etwa, jede Geschichte müßte einen Anfang und ein Ende
haben? In alten Zeiten konnten Erzählungen nur auf zwei Arten enden: Nachdem
Held und Heldin alle Prüfungen überstanden hatten, heirateten sie oder starben.
Der letzte Sinn, auf den alle Erzählungen verweisen, hat zwei Gesichter: Fortgang
des Lebens, Unausweichlichkeit des Todes.« -
Italo Calvino, Wenn ein Reisender
in einer Winternacht. München 2007 (Zuerst 1979)
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