Erzählökonomie   Die Demütigung des Opfers ist eine Spezialität Grazzinis: seine armen Helden werden gefesselt, zusammengeschlagen, bepißt, an den Hoden an eine Zugpresse gefesselt, kastriert, verstümmelt, gefoltert, gevierteilt und lebendig begraben, und wenn sie mit heiler Haut davonkommen, besteht immer noch die Möglichkeit, daß der Streich sie im wahrsten Wortsinn zu Tode erschreckt hat, so daß sie sich freiwillig aus dem Fenster stürzen wie der Priester Piero in der siebten Novelle, in der es um makabre Scherze mit einer Mädchenleiche geht.

Ein sadistischer Schriftsteller ist Grazzini aber nicht: die Grausamkeiten, die er schildert, sind nicht Selbstzweck, sondern Teil eines knapp und pedantisch genau inszenierten Handlungsablaufs, in dem die Tortur nicht mehr Raum einnimmt als es die Erzählökonomie zuläßt. Als Beispiel dafür die prägnante Schilderung des erwähnten Priester-Selbstmordes: »Und so kam es dahin, daß er sich eines Tages, als er allein in seiner Kammer war, sei es durch die Rätselhaftigkeit der Ereignisse, sei es durch Trübsinn, Tobsucht oder Wahnsinn verwirrt, oder durch den Teufel verblendet, kopfüber aus einem Fenster stürzte, das auf einen Hof hinausging, und mit zerschmetterten Gliedern sogleich mausetot auf dem Pflaster liegen blieb.«   - Alice Vollenweider, Nachwort zu: Antonfrancesco Grazzini, Feuer auf dem Arno. Berlin 1988 (zuerst ca. 1550)

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