rmordeter Diese
ermordete Greisin, die eigentlich niemandem genützt hatte, diese armselige Ladenfrau,
die nicht einmal eine Ansichtskarte ordentlich zu verkaufen verstand, die vergesse
ich nie. Ein Ermordeter ist etwas anderes als ein Toter,
es haftet ihm etwas entsetzlich Geheimnisvolles an. Ich konnte nicht begreifen,
warum diese Frau ermordet worden war, eine einfache, farblose Person, um die
sich sonst kein Mensch kümmerte; wie kommt es, daß sie nun so erhaben daliegt
und der Gendarm sich um sie bemüht und draußen die Menschen sich drängen, um
wenigstens etwas von Frau Turkovà mit den Augen zu erhäschen! Dieses arme Weibsbild
hat sich in ihrem ganzen Leben nicht solcher Aufmerksamkeit erfreut wie jetzt,
da sie in einer dunklen Blutlache liegt, als hätte sie gräßlich an Bedeutung
gewonnen. Nie hatte ich darauf geachtet, wie sie gekleidet ging oder wie sie
aussah, nun aber war es, als sähe ich sie durch ein Vergrößerungsglas. An einem
Fuß hing der Pantoffel, der andere Fuß war bloß, der Strumpf gestopft - noch
jetzt sehe ich die Stiche, und es schien, als wäre auch der Strumpf ermordet
worden. Die eine Hand war in den Boden verkrampft, sie war vertrocknet und ähnelte
einer Vogelkralle; aber am schauerlichsten war dieser kleine Haarknoten im Nacken
der Ermordeten, da er so sorgfältig geflochten war und inmitten des Blutes wie
altes Zinn glänzte. Ich glaubte nie etwas Kläglicheres gesehen zu haben als
diesen kleinen Zopf. Hinter dem Ohr war ein Blutspritzer eingetrocknet, über
ihm leuchtete ein blaugefaßter Ohrring. Ich konnte es nicht länger ertragen,
meine Beine zitterten. - Karel Čapek, Der gestohlene Kaktus. Frankfurt am Main 1969 (zuerst
ca. 1930)
Ermordeter (2) Wenn Sie die linke Seite seines Nackens eingehend betrachten, werden Sie bemerken, daß sich dort ein Heftpflaster oder eine Bandage befindet. Kehle und Kinn sind ebenfalls bandagiert.
Unglücklich blickte ich dorthin und sah, daß es stimmte. Dies war ganz fraglos der Mann, den ich ermordet hatte. Er saß vier Meter von mir entfernt und beobachtete mich. Er saß steif und ohne sich zu bewegen, als befürchte er, den klaffenden Wunden, die seinen Körper bedeckten, zu schaden. Und ich spürte eine Steifheit in den Schultern, die von meinen Anstrengungen mit dem Spaten herrührten. Doch wer hatte diese Worte geäußert? Sie hatten mich nicht geängstigt. Sie waren deutlich zu vernehmen gewesen, aber ich wußte, daß sie nicht so in der Luft vibriert hatten wie das schauerliche Husten des alten Mannes auf dem Stuhl. Sie waren aus mir selbst gekommen, aus meiner Seele. Vorher hatte ich nie geglaubt oder geargwöhnt, ich könnte eine Seele haben, aber nun wußte ich, daß ich eine hatte. Außerdem wußte ich, daß mir meine Seele freundlich gesinnt war, daß sie mich an Jahren übertraf und daß sie nur mein Bestes wollte. Ich nannte sie der Einfachheit halber Joe. Es beruhigte mich ein wenig zu wissen, daß ich nicht ganz allein war. Joe konnte mir helfen.
Ich will nicht versuchen, die Folgezeit zu beschreiben. In der schrecklichen
Lage, in der ich mich befand, konnte meine Vernunft mir nicht von Nutzen sein.
Ich wußte, daß der alte Mathers von einer eisernen Fahrrad-Pumpe
gefällt worden, mit einem schweren Spaten zu Tode
gehackt und dann auf einem Acker sicher verscharrt worden war. Außerdem
wußte ich, daß derselbe Mann jetzt mit mir im selben Zimmer saß
und mich schweigend beobachtete. Sein Leib war bandagiert, aber seine Augen
lebten, und seine rechte Hand lebte ebenfalls; alles an ihm lebte. -
(obr)
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