- Julian Symons, Am Anfang war der Mord. Eine Geschichte des Kriminalromans.
München 1982 (Goldmann 5228, zuerst 1972)
Erbsünde (2)
Erbsünde (3) »Die Erbsünde«, antwortete Molly augenblicklich, »war überhaupt nicht das, was alle diese Biographen daraus machen, nicht mehr als die Hälfte der Königinnen in den Geschichtsbüchern starb so, wie man sagt, denn ich habe die Wahrheit direkt von ihr, die deren teilhaftig geworden ist, in einer neu empfangenen Vision - also möchte ich wetten, der besten -, keiner anderen als Mary Flynn, der Hebamme, die mit den Anfällen. Sie sagt, sie hat eines Abends getrunken und mit Michael Karten gespielt, und jede Karte ein As, als sie vom Stuhl fiel und gegen das Kamingitter stieß, und so schnell«, Molly schnippte mit den Fingern, »steckte sie bis zu den Ohren in einer Vision. Sie sagt, sie sah ein Licht, grell und schön, wie durch das Spundloch eines Fasses leuchtend, und das war vermutlich so, sagte sie, wegen der Schwierigkeit, überhaupt in sie einzudringen. Und eine Kalbshaxe kam auf sie zu, mit Flügeln am Schienbein und kleinen Flügelchen, die überall an ihr herumflatterten, und einem Mund, der aus der Mitte sprach und sagte: ›Mary, sage deinen Leuten und den von ihnen gezeugten Leuten, daß die Erbsünde nicht von einem Weib begangen wurde!›
›Hatte sie überhaupt mit einem Apfel zu tun?‹ forschte Mary, und da bewegten sich die Flügel und die Haxe erhob sich, so daß alles einsam war, und eine Stimme kam von dort her und sagte: ›Es war ein Apfel, gewiß, aber der Mann war es, der ihn stahl und seine Kerne verstreute, und die benutzt er bis heute, um Söhne zu bekommen.‹«
»Oh, Molly, Molly, Molly«, sagte Wendell, »was soll aus Ihnen werden, Sie sind ja durch und durch gekreuzt und gemischt!«
»Hintern oder Kopf nach oben«, sagte Molly, »vor dem HErrn ist alles gleich.
Er hat nie gesagt, wir müßten alle in der gleichen Haltung kommen.« -
(ryder)
Erbsünde (4) Je nach der Jahreszeit etwas früher oder
später reinige ich die Ladentür; doch sie will nie recht sauber werden, ebensowenig
wie meine Zehen. Auch im Laden will es nie recht sauber werden. Ich mag noch
soviel schaben und kratzen, immer bleibt etwas Schmutziges, Fettiges, Stinkendes;
die Parfüms brauen mir auf die Dauer einen widrigen Geruch zusammen, der mir
überall anhängt und meine Bewegung träge macht, als wollte er mir die Lebenslust
nehmen, als wäre ich schon begraben und einbalsamiert. Mein Großvater und mein
Vater hielten nicht soviel auf Sauberkeit wie ich. Die Schmutzschicht, deren
Wachstum auf dem Fußboden, der Decke, den Mauern sie nicht verhindert haben,
ist nicht zu entfernen, und mir fehlen die Mittel, ein anderes Haus zu kaufen
oder die Erbsünde mit frischer Farbe streichen zu lassen. - Marcel Jouhandeau, Das
Tagebuch des Friseurs. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
Erbsünde (5)
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