r stand nichtssagend vor der tribüne der trabrennbahn, er war in seine lächerliche pelerine gehüllt, sein schuhzeug wirkte in dem wildwuchernden gras aufdringlich protzig, sein gesicht hatte etwas vom schlechten verputz eines billigen hauses, er hatte wurstfinger, die in zu engen pissegelben glacéhandschuhen steckten, seine kravatte war ein greuel vor dem Herrn, er besaß einen hut, ein teures stück aus einem üblen snobsalon, er hatte ihn aber nicht auf, obwohl es ein wenig windete; sein langes dünnes haar flatterte gelblich, er hatte diese geschmacklosigkeit einer hutmacherkunst auf seinen hochgehaltenen spazierstock praktiziert und ließ das kleine ungetüm kreisen, wie chinesische gaukler mit viel geschick einen teller kreisen lassen.

Er hatte eine weste, die nach einer art patchouli stank, er verbreitete irgendwie eine unangenehme luft, sein bart war zottig und ebenso dünn wie sein haupthaar, es war ein backenbart, den er auf victorianische art wild und lang nach links und rechts wie zwei komische goldfischflossen spreizte; er war überhaupt eine erbärmliche erscheinung: unter seinem rechten knie trug er einen falschen Hosenbandorden, das machwerk eines charakterlosen posamentierers, sein weinroter blazer war mit einem heraldisch völlig danebengegangenen stoffwappen versehen und trug das seltsame motto per aspera ad astra, er liebte steife taschentücher, gestärkte quadratische monstren, durch die ihm stets der rotz rutschte, wenn er sich einigermaßen stark schneuzte; er war ein äußerst dummer mensch, und was sein albernes gehabe anbetraf, das er besonders auf den trabrennbahnen der welt an den tag legte, so konnte man seinesgleichen lange suchen; ja, er war derart stupide, daß ihn jedermann mied, ihm aus dem wege ging, sich bei seinem anblick peinlich berührt einer anderen richtung zuwandte, um nicht sein schneidig hervorgejapstes guten tag anhören zu müssen. - H. C. Artmann, How much, schatzi? Frankfurt am Main 1971

Er (2) Seine Bewegung ist spontan. Wo er sich auch befindet, immer schlüpft er gleich in die Schuhe eines anderen. Es ist so bequem. Er reist vor dem Wind her, paßt sich der Saison an, fügt sich den Zeitläuften und läßt sich nie eine günstige Gelegenheit entgehen. Er spricht ohne nachzudenken und tut einfach, worauf er gerade Lust hat. Er zieht seine eigenen Wünsche zu Rate, bleibt bei der Menschenherde, hält sich an die Linie des geringsten Widerstandes. Sorgfältig richtet er seine Entscheidungen nach den Verhältnissen. Was ihm auch widerfährt, immer ist er es zufrieden. Unweigerlich streben seine Zehenspitzen zu den Fersen eines anderen. Blindlings folgt er anderen bis an das Ende der Welt. Da er handelt, wie es ihm gefällt, bleibt er ein Spielball der Wellen. Er ist kriecherisch, gibt verschlagenen Menschen nach und gehorcht auf der Stelle. Ach, in seiner Gesellschaft fühlt man sich wohl. - (liu)

Er (3)  Im Oktober 1859 ersdieint der Roman Lui von Louise Colet, die darin Flaubert als einen gefühllosen, geizigen Menschen beschreibt. Flaubert behauptet in einem Brief, so sehr darüber gelacht zu haben, daß ihm die Rippen weh taten.  - (flb)

Er (4)  Er beginnt von weitem, um zu vermeiden, daß ich Verdacht schöpfe. Er geht vor dem Hause auf und ab, unsichtbar; ich dagegen, der ich es noch nicht weiß, verbringe meine Tage in Seelenruhe, fühle mich endlich geheilt, und neue Hoffnungen erstehen. (Immer noch Hoffnungen, in meinem Alter, als könnte ich noch einmal von vorn anfangen!)

Er geht mit unhörbaren Schritten vor der Tür auf und ab. Ich bin in meinem Atelier, oben auf dem Dachboden, skizziere auf der großen Leinwand die Vorzeichnung des Meisterwerks, das mich reich und berühmt machen soll. Die Hand ist ziemlich ruhig, gleichsam zum Gruß fällt ein Sonnenstrahl durch die Glastür, alles ist so gut und beruhigend.

Er steht unten in der Diele, eine Hand auf dem ersten Knauf des Geländers, vielleicht unsicher, ob er heraufsteigen soll oder nicht, ob es schon der richtige Moment ist oder ob es nicht besser sei, noch zu warten. Die ersten Farbflecke leuchten bereits in einer glücklichen Harmonie auf der Leinwand, ich beginne mich schon zu trösten; dann drehe ich mich, den Pinsel in der Hand, unversehens nach der Tür um (sie ist geschlossen). Mir scheint, als hätte ich draußen jemanden meinen Namen sagen hören.

Mit langsamen, festen Schritten kommt er die Treppe herauf, kommt immer näher. Weder der Hausmeister noch irgend jemand anderes hat ihn aufgehalten, und zwar einfach deswegen, weil niemand ihn hat sehen können. Möglicherweise war sein Schritt außerordentlich langsam, viel langsamer als die vorhergehenden Male. Vielleicht braucht er noch eine ganze Weile, bis er bei mir ist mit seinem honigsüßen Lächeln. Aber er ist schon dabei, heraufzukommen. Und meine Hand, die den Pinsel hält, hängt ohne jedes Vertrauen schlaff herab, die Farben auf der Leinwand sind matt und falsch, verhaßte Kirchenglocken beginnen zu läuten, Wolken bedecken den Himmel. Das unglückselige Verlangen steigt langsam in mir auf.

Und jetzt steht er hinter mir. Er ist ins Atelier gekommen, ohne die Tür aufzubrechen, der Holzfußboden hat nicht geknarrt; seine Hände ruhen leicht auf meinen Schultern, was mir ein angenehmes Gefühl zuteil werden läßt. - Dino Buzzati, Die Maschine des Aldo Christofari. Frankfurt am Main 1985

Er (5)  »Ich spüre doch auch, wenn oben im Flur das Licht an ist. Ja. Ich spür es. Die Wärme. Es war schrecklich warm im Flur, da, wo er stand. Und er hat natürlich geatmet. Ich hab gehört, wo er sich versteckt hat, wie er die Luft eingesogen und dann ganz sachte ausgeatmet hat. Er hat nichts gesagt, als ich vorbeigegangen bin, aber ich hab sein Herz gehört, ja, auch sein Herz, bum, bum, oder vielleicht war's auch meines. Hab gedacht, ich könnte vorbeischleichen, ohne daß er mich sieht, ein Blinder meint wohl, wenn's für ihn dunkel ist, muß es für alle so dunkel sein. Ja und dann - wumm! Ich sitz unten an der Treppe und weiß nicht, wie ich da hingekommen bin. Hab angefangen, nach Jimmy und Sam und Pietro zu rufen, dann hab ich mich einen verdammten Idioten geschimpft und mir gesagt, die sind tot, und du bist's auch bald, wenn du nicht nach jemand anders rufst. Ich hab Namen rausgebrüllt, einen nach dem anderen, im ganzen Haus sind die Türen aufgegangen, und währenddessen hat er sich auf und davon gemacht. Klang, als ob er barfuß gelaufen ist, draußen vor der Tür. Hab seinen Atem gerochen.«   - Ray Bradbury, Der Tod ist ein einsames Geschäft. Zürich 1989

Er (6)  »Wenn ich mich schwach fühle, bekommt der andere in mir die Oberhand, besonders in hellen Mondnächten.« Er atmete schwer, nach einer Pause seufzte er und fuhr fort: »Nach all den Jahren kenne ich ihn gut, ihn und seine Niedertracht. Übrigens habe ich früher einmal ein Tagebuch meines Großvaters gefunden. Der hatte auch schon mit ihm zu tun. Mein Vater nicht; aber mein Großvater hat sich schließlich erhängt, als er nicht mehr weiter konnte. Genau wie ich jetzt Gift genommen habe. Aber jetzt stirbt er mit mir, denn ich habe keine Kinder.«

Tangs verfallenes Gesicht verzog sich zu einem bitteren Lächeln. Richter Di sah ihn mitfühlend an. Offenbar hatte der Alte schon den Verstand verloren.

Eine Weile starrte der Sterbende vor sich hin. Plötzlich sah er den Richter entsetzt an. »Das Gift steigt höher«, sagte er angstvoll, »ich muss mich beeilen. Ihr sollt erfahren, wie es immer vor sich geht. Nachts erwache ich, meine Brust ist beengt. Ich steige aus dem Bett und gehe im Zimmer auf und ab, auf und ab. Aber das Zimmer beengt mich, ich kann nicht atmen. Ich muß hinaus, ins Freie. Noch auf der Straße fühle ich mich eingeschlossen, die Häuser mit ihren hohen Mauern kommen auf mich zu, sie wollen mich erdrücken . . . Die Angst übermannt mich, ich schnappe nach Luft. Dann, wenn ich am Ersticken bin, kommt er.«

Tang seufzte tief. Ruhiger fuhr er fort:

»Ich klettere auf die Stadtmauer und springe auf der andern Seite hinab, genau wie ich es gestern abend tat. Im Felde draußen atmete ich auf, frisches junges Blut strömte durch meine Adern. Meine Brust weitete sich, nichts konnte mich zurückhalten. Eine neue Welt tat sich mir auf. Ich roch die feuchte Erde, die verschiedenen Gräser, ich spürte, hier war vorhin ein Hase vorbeigelaufen. Ich Öffnete die Augen und konnte im Dunkeln sehen. Ich sog die'Luft ein und wußte, dort, inmitten der Bäume, ist ein Wassertümpel. Dann witterte ich einen anderen Geruch. Den herrlichen Geruch frisch vergossenen Blutes . . .«

Entsetzt sah der Richter die Veränderung in Tang's Gesicht. Die grünen Augen starrten ihn mit verengten Pupillen über plötzlich breit erscheinenden Backenknochen an, seine Oberlippe war hochgezogen und entblößte die spitzen, gelben Zähne, die grauen Schnurrbarthaare wären gesträubt, Schreckerfüllt merkte der Richter, wie sich seine Ohren bewegten. Zwei klauenähnliche Hände kamen unter der Decke zum Vorschein.

Plötzlich entspannten sich die verkrallten Finger, die Arme fielen kraftlos herab. Tangs Gesicht wurde zu einer Totenmaske. - Robert van Gulik, Geisterspuk in Peng-lai. Zürich 1988

Mann
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