ntzweitheit
Zwischen Frau und Mann ist neuerdings Feindschaft gesetzt. Männer
und Frauen sind heutigentags untereinander zerfallen, ohne Ausnahme. Ich zum
Beispiel habe schon lange kaum einen Feind mehr — komme dazu auch nicht mehr
in Frage —, aber wenn, so ist das eine Frau. Nicht nur werden wir nicht mehr
geliebt, sondern sogar bekämpft. Und wenn die Liebe ins Spiel kommt, so dient
sie nur noch dazu, den Krieg zu eröffnen. Früher oder später wird die dich liebende
Frau, so oder so, von dir enttäuscht sein, und du wirst nicht einmal wissen,
warum. Sie wird dich, wie sie erklärt, durchschaut haben, ohne dir aber zu sagen,
worin sie dich durchschaut hat. Und sie wird dich keinen Moment mehr vergessen
lassen, daß du durchschaut bist. Denn zugleich läßt sie dich nun kaum mehr allein,
jedenfalls viel weniger als vorher im Liebesspiel. Und in ihrer ständigen Anwesenheit
kannst du kaum mehr dem entkommen, was sie von dir an Schlechtem denkt. Du selber
denkst zwar keineswegs von dir als einem Schwindler,
Lügner und Falschspieler, und möchtest ihr immer noch wie bei eurem Anfang ein
guter Mann sein. Aber du bist gezwungen, dich als all das zu sehen: in und mit
ihren Augen, die dich ab jetzt nicht mehr loslassen und in denen, was du auch
tust oder nicht tust, eine Bestätigung ihrer schlechten Meinung, ihrer bitterlichen
Enttäuschung sein wird. Mach, was du willst: Du bist und du bleibst der Durchschaute.
Nichts kann die Frau mehr an dir überraschen. Selbst wenn du ihr das verwirklichst,
was sie sich im geheimsten für ihr Leben geträumt und gewünscht hat, wird sie
mit ihrem Blick auf dich gerade nur die Brauen heben.
Und wenn du für sie stirbst, wird sie starr über dich gebeugt bleiben und so
sogar noch verhindern, daß du in deinen letzten Augenblicken wenigstens etwas
anderes siehst. Ja, auf Mann und Frau wartet heute von Anfang an der Haß.
So viel Schmutz und Verschmutzung zwischen den Geschlechtern wie heutzutage
war noch nie. Und die nicht schmutzig sind, das sind die Dummen. Vielleicht
war das immer schon so. Aber wenn, dann sicher noch nie so arg und so nackt.
Haben wir früher einander eher still geduldet? Und ist es vielleicht besser
so wie jetzt? Und jedenfalls ist es allgemein so, nicht bloß bei mir und bei
dir. Kein Paar, kein noch so rührend junges oder ehrwürdig
altes, bei dem nicht in gleichweicher Lebenslage unvermittelt jene Entzweitheit
ausbrechen könnte und heutigentags ausnahmslos tatsächlich dann einmal ausbricht
— auch wenn sie danach wieder vertuscht wird —, welche im Anfang schon zwischen
Frau und Mann angelegt war, zumindest in der Jetztzeit. Besser dann doch, sofort
aufeinander loszuschlagen, bei der ersten Begegnung, oder? Statt eines tiefen
Blicks, statt eines Rot- und Bleichwerdens, statt eines
Stichs im Herzen gleich das wilde Aufeinander-Einprügeln,
oder? Und warum lassen die modernen Männer und Frauen nicht überhaupt einander
in Ruhe — wenigstens eine Zeitlang?
- Peter Handke,
In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Frankfurt am Main 1999
(st 2946, zuerst 1997)
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