ntscheidung
Entschlüsse Aus einem elenden Zustand sich zu erheben, muß selbst
mit gewollter Energie leicht sein. Ich reiße mich vom Sessel los, umlaufe den
Tisch, mache Kopf und Hals beweglich, bringe Feuer in die Augen, spanne die
Muskeln um sie herum. Arbeite jedem Gefühl entgegen, begrüße A. stürmisch, wenn
er jetzt kommen wird, dulde B. freundlich in meinem Zimmer, ziehe bei C. alles,
was gesagt wird, trotz Schmerz und Mühe mit langen Zügen in mich hinein.
Aber selbst wenn es so geht, wird mit jedem Fehler, der nicht ausbleiben kann, das Ganze, das Leichte und das Schwere, stocken, und ich werde mich im Kreise zurückdrehen müssen.
Deshalb bleibt doch der beste Rat, alles hinzunehmen, als schwere Masse sich verhalten und fühle man sich selbst fortgeblasen, keinen unnötigen Schritt sich ablocken lassen, den anderen mit Tierblick anschaun, keine Reue fühlen, kurz, das, was vom Leben als Gespenst noch übrig ist, mit eigener Hand niederdrücken, d. h., die letzte grabmäßige Ruhe noch vermehren und nichts außer ihr mehr bestehen lassen.
Eine charakeristische Bewegung eines solchen Zustandes ist Hinfahren des
kleinen Fingers über die Augenbrauen. -
Franz
Kafka
Entscheidung (2) Johnson ereiferte sich gegen
den Alkohol. «Man muß sich entscheiden», behauptete er, «entweder Enthaltsamkeit
und Erkenntnis, oder Wein und Unwissenheit.» Robertson
wollte die Ächtung des Weins nicht gelten lassen. Mit gutmütigem Lächeln
lenkte Johnson ein: «Im Grunde sind wir derselben Meinung. Da der Mensch,
wie ich sagte, um so vollkommener ist, je größer sein Fassungsvermögen, so bin
ich ganz für Rotspon und Erkenntnis.» - (
johns
)
Entscheidung (3) Zwei Stunden nach Eintreffen des
Abgesandten versammelten wir uns im Zimmer des Prinzen Conti im Stadthaus, um
zu einem Beschluß zu gelangen, und es kam zu einer ziemlich erstaunlichen Szene.
Prinz Conti und Madame de Longueville wollten sich, unter dem Einfluß de
la Rochefoucaulds, so gut wie ohne jede Einschränkung mit Spanien verbinden;
da ihre über Flammarin unternommenen Annäherungsversuche an den Hof fehlgeschlagen
waren, stürzten sie sich blindlings ins andere Extrem, was so recht im Wesen
aller Menschen liegt, die schwach sind. Monsieur
d'Elbeuf, dem es nur um bares Geld zu tun war, ging auf
alles ein, wo welches winkte. Monsieur de Beaufort hatte sich durch Madame de
Montbazon, die ihn möglichst teuer an die Spanier verkaufen wollte, dazu bereden
lassen. Gewissenszweifel zu mimen, ehe er sich durch Unterschrift vertraglich
dem Landesfeind verpflichte. Der Marschall de la Mothe erklärte bei dieser Gelegenheit
wie bei jeder anderen, er könne nichts entscheiden ohne Monsieur de Longueville,
und Madame de Longueville hegte starke Zweifel daran, daß ihr Gemahl mitmachen
werde. Sie wollen bitte beachten, daß all diese Schwierigkeiten gemacht wurden
von den gleichen Leuten, die einstimmig vierzehn Tage zuvor dahin einig geworden
waren, den Erzherzog um einen Bevollmächtigten zu ersuchen, der mit ihnen verhandeln
sollte, und die diesen ohne allen Vergleich nötiger hatten denn je, weil sie
ja aufs Parlament sich weniger verlassen konnten denn je. - (
retz
)
Entscheidung (4) Anstatt beständig etwas anzuschleppen oder etwas Angeschlepptes zu betrachten, solle man besser einfach innehalten und sich einmal gegen alles entscheiden, was man bislang getan oder gedacht habe. Dies sei eine wirkliche Entscheidung. Alles andere seien Augenwischereien aber keine Entscheidungen. Gerade weil die Welt ohne Entscheidungen auskomme, seien die Menschen immer bemüht, Scheidewege anzulegen und Alternativen zu entwerfen, so daß man keinen Schritt gehen könne, ohne über eine Entscheidung zu stolpern. Gerade weil die Menschen über die entscheidenden Dinge ihres Lebens keine Entscheidungsgewalt hatten, forcierten sie beständig Entscheidungen. Sie verbänden Entscheidungen mit Macht. Jemand anderen zu einer Entscheidung zu zwingen, das bedeute Macht. Nichts anderes. Die Nazis hätten das verstanden. Darum sei es im wesentlichen an der Rampe in Auschwitz gegangen. Du ja, du nein. Entscheidungen. Forcierte Entscheidungen. Konstruierte Entscheidungen. Erfundene Entscheidungen. Das Geld, die dritte Ware, sei dementsprechend auch nichts weiter als materialisierte Entscheidung, die Entscheidung in Papier und Metall eingefroren. Mit Geld werde einem immer auch eine Entscheidung aufgezwungen, von der man sich erst durch Weggabe des Geldes wieder lösen könne. Da man jedoch, kaum daß man das Geld weggebe, etwas anderes für dieses Geld erhalte, verwandele die eingefrorene Entscheidung nur immer ihre Form. Selbst wenn man das Geld buchstäblich zum Fenster hinauswerfe und meine, der Rocksaum der freien Entscheidung habe einen gestreift, sei man der gesellschaftlichen Mühle des Tausches nicht für eine Sekunde entkommen. Im Kapitalismus könne man sich niemals und mit nichts freikaufen, da man immer einen Gegenwert erhalte.
Darum stelle das Werfen einer Münze, um eine Entscheidung herbeizuführen, keine Zweckentfremdung der Münze dar, sondern im Gegenteil eine, wie nenne man nur das Gegenteil der Zweckentfremdung, vielleicht Zweckzuführung, wobei es interessant sei, daß der Begriff der Zweckentfremdung keine Umkehrung besitze, denn gerade das bestätige seine Theorie, daß es in der Natur, der Welt, dem Leben, so man sich alle drei ohne Betrachter und ohne Mensch überhaupt vorstellen könne, keine Sinngebung gebe, man nur den natürlichen Zweck entfremden, nicht aber umgekehrt dem Entfremdeten wieder einen natürlichen Zweck zuführen könne.
Das Perfide, das Gemeine, das Hinterrückse an diesen von den Menschen künstlich geschaffenen Entscheidungen sei nun aber einmal die Tatsache, und daran werde letztlich alles scheitern, daß man sich der Entscheidung nicht mehr entziehen könne, daß die Entscheidung so etwas wie eine Urschuld sei, die, einmal in die Welt gesetzt, nicht mehr aus ihr herauszukriegen sei, denn schon sich gegen die Entscheidung zu entscheiden bedürfe der Entscheidung, und spätestens da werde es einfach nur noch absurd und peinlich. Weshalb auch alle Gedanken überflüssig seien, die er sich gemacht habe, vor der Reise, während der Reise, und die er sich noch immer mache, obwohl die Reise nun schon über sechs Wochen zurückliege, denn er könne sich gar nicht gegen etwas entscheiden, ohne es damit dennoch weiter am Leben zu erhalten.
Wenn man einmal den Gedanken der Erlösung, den christlichen Gedanken der Erlösung nicht von sich weise, und jetzt, während er dabei sei, sein Projekt zu erläutern, leuchte ihm überhaupt mit einem Mal der Sinn einer Erlösung ein, wenn man also einmal den christlichen Gedanken der Erlösung nicht einfach von sich weise, sondern in Bezug auf die Theorie betrachte, daß der christliche Mensch von der Entscheidung erlöst werden solle, daß
es tatsächlich darum gehe und um nichts anderes und daß dieser christliche
Singsang, dieses Friedliebende in Wirklichkeit überhaupt nichts Friedliebendes
gewesen sei, daß das Beispiel mit der linken Backe, oder der rechten Backe,
eben der anderen Backe, die man hinhalten solle, nichts anderes bedeute, als
sich tatsächlich aller Entscheidungen zu enthalten, selbst wenn es einen Mühe
koste, weil man durch eine Entscheidung logischerweise nur die Welt der Macht
bestärke, da die Macht auf dem Zwang zur Entscheidung aufbaue, und die Macht
nur deshalb so unbezwingbar sei, weil man sich immer innerhalb von ihr bewege,
sobald man sich entscheide, gleichgültig in welche Richtung, weshalb eine Erlösung
nur durch eine Nicht-Entscheidung geschehen könne. Ein Zustand, den man allein
entscheidungslos erreichen könne. - (rev)
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