ntscheidungsfindung  Es ist schwer, jemandem etwas über Puškin zu sagen, der nichts von ihm weiß. Puškin ist ein großer Dichter. Napoleon ist nicht so groß wie Puškin. Und Bismarck ist im Vergleich zu Puškin ein Nichts. Und die Alexander I. und II. und III. sind im Vergleich zu Puškin einfach Seifenblasen. Oberhaupt sind alle Menschen Seifenblasen im Vergleich zu Puškin, nur im Vergleich zu Gogol ist auch Pushkin eine Seifenblase.

Deshalb schreibe ich statt über Pushkin über Gogol.

Obwohl auch Gogol so groß ist, daß auch über ihn nichts Rechtes zu schreiben ist, weshalb ich doch lieber über Puškin schreibe.

Aber nach Gogol über Puškin zu schreiben ist irgendwie beleidigend. Und über Gogol ist nicht zu schreiben. Deshalb besser einige Worte über keinen von beiden. - (charms)

Entscheidungsfindung (2) Ein Franzose hatte ein Sofa, vier Stühle und einen Sessel geschenkt bekommen.

Setzt sich der Franzose auf den Stuhl am Fenster, dabei möchte er lieber auf dem Sofa liegen. Legt sich der Franzose auf das Sofa, möchte er eigentlich lieber im Sessel sitzen. Steht der Franzose vom Sofa auf und setzt sich in den Sessel wie ein König, geht ihm auch schon durch den Sinn, auf dem Sessel sei es doch grauenhaft pompös. Lieber einfach auf dem Stuhl. Setzt sich der Franzose wieder auf den Stuhl am Fenster, nur hält es den Franzosen nicht auf diesem Stuhl, weil es am Fenster irgendwie zieht. Setzt sich der Franzose auf den Stuhl am Ofen und spürt, er ist müde. Da beschloß der Franzose, sich auf das Sofa zu legen und auszuruhen, aber kaum beim Sofa angekommen, wandte er sich ab und setzte sich in den Sessel.

»Hier ist es schön!« sagte der Franzose, setzte aber sogleich hinzu: »Auf dem Sofa ist es aber sicher schöner.« - (charm)

Entscheidungsfindung (3)

Bosc

- Bosc, aus: Das Tintenfaß. 10. Jahrg., 24. Folge. Zürich 1974 (Diogenes)
 

Entscheidungsfindung (4) »Der Tormann überlegt, in welche Ecke der andere schießen wird«, sagte Bloch. »Wenn er den Schützen kennt, weiß er, welche Ecke er sich in der Regel aussucht. Möglicherweise rechnet aber auch der Elfmeterschütze damit, daß der Tormann sich das überlegt. Also überlegt sich der Tormann weiter, daß der Ball heute einmal in die andere Ecke kommt. Wie aber, wenn der Schütze noch immer mit dem Tormann mitdenkt und nun doch in die übliche Ecke schießen will? Und so weiter, und so weiter.« - Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Frankfurt am Main 1970

Entscheidungsfindung (5)  Wichtig ist, daß man dem Zufall blindlings folgt und nicht versucht, das Schicksal zu beeinflussen oder gegen den Strich zu lesen wie der Richter Gänszaum bei Rabelais, der Gerichtsurteile auszuwürfeln pflegte: »Ich machs halt wie ihr andern Herrn, und nach dem Gerichtsbrauch, welchem uns in unsern Rechten allezeit zu deferieren geboten ist: ut not. extra. de consuet. c. ex litteris. et ibi lnnoc. Hab ich zuvor erst wohl studiert, durchwälzt, gelesen, wiedergelesen, repetieret und revidieret die Petitiones, Citationes, Comparitiones, Commissiones, lnformationes, Präliminaria, Productiones, Allegationes, Intentiones, Contradictiones, lnquisitoria, Suppliken, Dupliken, Tripliken, Exceptiones, Gesetz, Anticipatoria, Gravamina, Declinatoria, Compulsoria, Salvationes, Repetitiones, Confrontationes, Kreuzverhör, Klagschriften, Bericht, Rescripta Principis, Evocationes, Appellationes, Rejectiones, Conclusiones, Inhibitiones, Provisoria, Läuterungsurtel, Geständnis, Rügen und mehr dergleichen süße Confect und Zuckerkörnlein auf beiden Seiten, wie die Pflicht des guten Richters erheischt in Folge ejus quod not. Spec. de ordination. S. 3. et tit. de offic. omn. jud. §. fin. et de rescriptis praesentat. §. 1: leg ich in meiner Schreibstub sämtliche Acta des Beklagten auf ein End des Tisches und werf zuerst für ihn, wie ihr andern Herrn, und wie not. l. favorabiliores. if. de reg. jur. et in cap. cum sunt. eod. tit. lib. 6: da stehet, Cum sunt partium jura obscura, reo favendum potius quam actori. Wann dies beschehen, leg ich, just wie ihr andern Herrn, des Klägers Acta aufs andre End, visum visu; sintemalen opposita juxta se posita magis elucescunt, ut not. in 1. 1. videamus. if. de his qui sunt sui vel alieni juris, et in 1. munerum. §. mixta. if. de muner. et honor. und werf für ihn zu gleicher Zeit desselbengleichen .«

»Aber woran«, frug Breitmaul, »Freund, erkennet ihr die Dunkelheit der von den Parten bestrittenen Recht?« — »Wie ihr andern Herrn«, antwortet‘ Gänszaum, »daraus, daß auf beiden Seiten viel Acta liegen. Dann nehm ich, wie ihr andern Herrn, meine kleineren Würfel zur Hand, nach der Lex Semper in stipulationibus. if. de regulis juris, und Lex Versalis in Versenque eod. tit. Semper in obscuris quod minimum est sequimur, canonisieret in c. in obscuris. eod. tit. lib. 6. Ich hab auch noch andre große Würfel, gar harmonisch und angenehm, da werf ich mit, wie ihr andern Herrn, wo die Sach schon liquider ist, das ist, wo nicht so viel Acta sind.« — Demnächst frug Breitmaul: »Und wie faßt ihr das Urtel, mein Freund?« — »Wie ihr andern Herrn«, antwortet‘ Gänszaum: »ich gebs für den ab, des Wurf der erst war nach dem Los des judiciarisch-tribunianisch-prätorialischen Würfelspiels. Also erforderns unsre Recht if. qui pot. in pig. l. potior. 1. creditor. c. de consul. l. 1. Et de regulis juris. in 6. Qui prior est tempore potior est jure.« - (rab)

Entscheidungsfindung (6)  Da sich in den menschlichen Dingen, zu welcher Partei man auch neige, immer ein starker Anschein findet, der uns darin bestärkt (und der Philosoph Chrysippus sagte, er wolle von seinen Lehrmeistern, Zeno und Kleanthes, nichts als allein die Lehrsätze lernen: denn was Beweise und Gründe betreffe, werde er deren selber genug liefern), finde ich, nach welcher Seite ich mich immer wende, stets Ursache und Wahrscheinlichkeit genug, um dabei zu bleiben. So bewahre ich mir den Zweifel und die Freiheit, zu wählen, bis mich die Gelegenheit drängt. Und dann, um die Wahrheit zu gestehen, werfe ich meist die Feder in den Wind, wie man sagt, und überlasse mich dem Willen des Zufalls: ein sehr leichter Anstoß und Umstand gibt mir den Ausschlag. - (mon)

Entscheidungsfindung (7)

Der Schieferdecker
Eine ganz wahre Geschichte

Ein Schieferdecker und sein Sohn bestiegen einen hohen. Kirchturm, um am Knopfe desselben eine Ausbesserung vorzunehmen. Der Vater, der schon seine fünfzig Jahre haben mochte, übrigens aber noch rüstig und gesund war, klimmte voran; der Sohn folgte. Die große Menge Volk, die von unten zusah, freute sich anfangs, denn das Klettern ging eine geraume Zeit hurtig und gut vonstatten. Aber desto gräßlicher war auch das Geschrei, das plötzlich entstand. Denn, sieh da! ganz nahe am Knopfe schon, glitt der jüngere Mann plötzlich aus und stürzte herab. Durch den Fall von dieser furchtbaren Höhe zerschmetterte er sich dergestalt die Hirnschale, daß, als man herbeisprang und ihn aufhob, schon nicht mehr die mindeste Spur vom Leben sich zeigte. Der Vater stieg indes unverdrossen weiter, vollbrachte seine Arbeit und kam nach ein paar Stunden wieder herunter, so ernst und gefaßt als nur möglich.

Von allen Seiten umringte ihn nun das Volk. Alle bedauerten, alle beklagten ihn. »Armer Mann! Armer Vater!« riefen wohl hundert auf einmal: »Wißt Ihr schon, wie es mit Euerm Sohn steht?«

»Daß er tot sein wird! Tot sein muß!« erwiderte er ziemlich gelassen. »Beim Sturz von einer solchen Höhe hinab bleibt man freilich nicht lebendig!«

»Aber um Himmels willen! Wie ward Euch denn, als Ihr seinen Fall merktet?«

»Wie‘s einem Vater werden muß, wenn er seinen liebsten, seinen einzigen Sohn einbüßt! Ganz unerwartet kommt uns zwar allerdings ein solcher Fall nie. Wir steigen immer mit der Besorgnis hinauf, nicht lebend wieder herabzukommen. «

»Und wann — wie — wo merktet Ihr sein Unglück zuerst?«

»O, zeitig genug! Noch zwei oder drei Sekunden eher, als er stürzte!«

»Wie — was sagt Ihr? Eher noch?«

»Nun ja doch, ja! Denn um euch aus dem Traume zu helfen, mein Sohn fiel nicht sowohl, — ich selbst warf ihn hinunter. «

Ein lauter Schrei des allgemeinen Entsetzens erscholl. »Gott, Gott!« rief alles, » wie war denn das möglich?« »Das will ich euch wohl erklären: und zwar, wie ich hoffe, recht deutlich! Vielleicht wißt ihr es schon, vielleicht auch nicht — aber kurz, bei unserer Hantierung ist es Sitte und Regel: der Ältere, der Geübtere steigt voran; der Jüngere kommt hinten nach. So wie eine Leiter befestigt worden, wird die andere aufgesetzt und unten angebunden. Dies ist nicht schwer! Aber dann steigt der Vorderste auf dieser halbbefestigten Leiter höher und knüpft sie oben ebenfalls an; und dies ist die Hauptsache, wie ihr leicht begreifen werdet, Als ich heute nun eben im Begriff war, dieses auf einer der allerhöchsten Leitern zu tun, hörte ich plötzlich hinter mir den Ausruf meines Sohnes: ›Ach, Vater, Vater! Wie wird mir! Alles schwarz vor den Augen! Ich sehe nicht mehr, wo ich bin!‹ Sofort schlug ich hinten mit dem rechten Fuß auf gut Glück aus, traf ihn richtig gerade vorm Kopf, und er flog herab, ohne nur noch einen Laut von sich zu geben.«

»Entsetzlich! Entsetzlich! — Abscheulicher Bösewicht! Warum tatet Ihr das?«

»Nun! Nun! Nur gemach! So ganz abscheulich glaube ich doch noch nicht gehandelt zu haben. Bei unserem Hand-werk kommt alles darauf an, daß wir nicht schwindlig werden. Wer dieses Unglück hat, in einer gewissen Höhe hat, wo er sich nicht setzen, nicht anhalten, nicht eine geraume Zeit ausruhen kann, der ist verloren — verloren ohne Rettung. Dies war heute meines Sohnes Fall. Da, wo ihm schwarz vor den Augen ward, ließ sich an kein Wieder-Lichtwerden denken. Zwei oder drei Sekunden später stürzte er unausbleiblich hinab. Aber ehe er stürzte, griff er auch gewiß in letzter, bewußtloser Todesangst nach der unbefestigten Leiter, auf welcher ich stand, wollte sich anhalten an ihr; sie gab nach, und wir stürzten dann beide hinunter. Dies, dies alles sah ich in jenem Augenblick unbezweifelt voraus, dem wollte ich vorbeugen, und deshalb gab ich ihm rasch den Stoß, der ihn herabwarf und der mich gerettet hat, wie ihr seht.

Sagt mir ihr alle, die ihr vorhin auf mich als auf einen Bösewicht schmähet: hätte es seinem hilflosen Weibe, seinen unerzogenen Kindern — deren Versorgung mir nun obliegt! — ja hätte es ihm selbst etwas geholfen, wenn ich zugleich mit ihm umgekommen wäre? Mich zu opfern für ihn, das könnte Vaterpflicht gewesen sein, doch mich nutzlos zu opfern nebst ihm — das, dünkt mich, konnte niemand fordern! Und das bin ich auch erbötig, durch Geistliche und Gerichte entscheiden zu lassen.«

Wohl zwei Minuten durch war eine dumpfe Stille um ihn rund herum. Was ihm zu antworten sei, wußte niemand. Endlich erwachte doch der allgemeine Unwille wieder, und man begehrte seine Verhaftung. Sie geschah, doch auf eine leidliche, anständige Art. Beim ordentlichen Verhöre fuhr er fort einzugestehen, was sonst kein anderer ihm Schuld gegeben haben würde. Seine Tat ward höhern Orts einberichtet; und es ging seinen Richtern, wie es der Volksmenge gegangen war. Sie schauderten anfangs zurück, überdachten sich seine Lage und die Gründe, nach welchen er gehandelt hatte, genauer, und mußten gestehen: er habe nach einer zwar gräßlichen, doch richtigen Logik geschlossen, habe eine grausame und doch bewundernswürdige Gegenwart des Geistes bewiesen, und ihr einstimmiges Urteil war, daß er aller Haft und Strafe zu entlassen sei. - August Gottlieb Meißner, Die Seelen=Folter. Geschichten vom Unstern und Aberwitz. Darmstadt und Neuwied 1984 (zuerst 1813-14)

Entscheidungsfindung (8) Angenommen, ich disputierte mit dir; du besiegst mich, und ich besiege dich nicht. Hast du nun wirklich recht? Hab' ich nun wirklich unrecht? Oder aber ich besiege dich, und du besiegst mich nicht. Habe ich nun wirklich recht und du wirklich unrecht? Hat einer von uns recht und einer unrecht, oder haben wir beide recht oder beide unrecht? Ich und du, wir können das nicht wissen. Wenn die Menschen aber in einer solchen Unklarheit sind, wen sollen sie rufen, um zu entscheiden? Sollen wir einen holen, der mit dir übereinstimmt, um zu entscheiden? Da er doch mit dir übereinstimmt, wie kann er entscheiden? Oder sollen wir einen holen, der mit mir übereinstimmt? Da er doch mit mir übereinstimmt, wie kann er entscheiden? Sollen wir einen holen, der von uns beiden abweicht, um zu entscheiden? Da er doch von uns beiden abweicht, wie kann er entscheiden? Oder sollen wir einen holen, der mit uns beiden übereinstimmt, um zu entscheiden? Da er doch mit uns beiden übereinstimmt, wie kann er entscheiden? So können also ich und du und die andern einander nicht verstehen, und da sollten wir uns von etwas, das außer uns ist, abhängig machen? Vergiß die Zeit! Vergiß die Meinungen! Erhebe dich ins Grenzenlose! Und wohne im Grenzenlosen! - Dschuang Dsi

Entscheidungsfindung (9)  Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen, und ladete dazu aus der Nähe und Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet; erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edel-leute. Nun ward die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick, 'das Weinfaß!' sprach sie. Der andere zu lang, 'lang und schwank hat keinen Gang.' Der dritte zu kurz, 'kurz und dick hat kein Geschick.' Der vierte zu blaß, 'der bleiche Tod!' der fünfte zu rot, 'der Zinshahn!' der sechste war nicht gerad genug, 'grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!' Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. 'Ei,' rief sie und lachte, 'der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel;' und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart. Der alte König aber, als er sah, daß seine Tochter nichts tat als über die Leute spotten, und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Türe käme. - (grim)

Entscheidungsfindung (10) als goldenberg wieder in seinem zimmer war, öffnete er beide hähne, schloss das Fenster und machte es sich auf dem sofa bequem, der geruch war nicht unangenehm und er wartete auf schlaf, er sah sein leben nicht vor sich abrollen und überlegte ob er die hähne wieder schliessen solle, als er bereit war aufzustehen und den hähnen den atem zu nehmen, änderte er seine meinung wieder und blieb auf dem sofa, als er sich entschlossen hatte auf dem sofa liegen zu bleiben, entschloss er sich aufzustehen und als er dessen sicher war, entschloss er sich auf dem sofa zu bleiben, der geruch war nicht unangenehm und goldenberg atmete das leuchtgas mühelos, schon wollte er das sofa verlassen, er hatte sich seiner sechs sinne erinnert, da schlief er ein, ohne sein leben vor sich abrollen gesehen zu haben.

als er erwachte schien die sonne durch das fenster. goldenberg öffnete es und schloss die beiden gashähne. als sein nachbar, ein gewisser wilcek, an die tür klopfte und um ein stück brot bat, es war sonntag, hatte goldenberg seinen lachkrampf. - Konrad Bayer, der sechste sinn. Roman. Reinbek bei Hamburg 1969

Entscheidungsfindung (11)

"Du oder ich"

- N.N.

Entscheidungsfindung (12) Und was machen wir jetzt? Norwegen ist noch ein bißchen früh. Wir sollten doch immer mal bei Rosenbergs anrufen. Wie wärs denn, nein, das ist auch nichts. Zum Piper in den Club geht doch keiner mehr hin. Was Einfaches mal, wenns sowas noch gäbe. Wie wärs denn mit dem Ostsektor? Genau so ein Regen müßte es sein, wie damals, als in Hennestrand wir in den Hütten lagen. In Rom ist sowieso nichts los. Bei Marlborough ist heute was los. Da kommen wir ja grade her. Raddatz wüßte sicher was. Am liebsten schlafen bis September. Wie hieß sie noch, die Stadt da oben mit den Leuten und den Transistorgeräten am Ohr? Bloß nicht. Gibts denn keine Würstchenbude hier? Wir könnten doch, du weißt doch. Und wer kam in Frage. Stundenlang, nur immer so, stundenlang. Und dann? Dann andersherum. Also wer macht mit? Bei Harriman ist heute Reisetag. Dann Gütz. Der ist tot. Man müßte einen Wald haben, einen richtig grünen, großen Wald. Oder einfach brüllen, laut, immer lauter. Das haben wir ja gestern schon alles gehabt. Dann braten wir jetzt einen Apfel. Das geht nur in der Lüneburger Heide. Also dann, was machen wir dann? - Jürgen Becker, Ränder. Frankfurt am Main 1969

Entscheidungsfindung (13)

Entscheidungsfindung (14)

Entscheidungsfindung (15)

Entscheidungsfindung (16) Wenn Watt auch mit offenem Mund dastand und mit hängendem Unterkiefer und glasigen Augen und hängendem Kopf und gebeugten Knien und gekrümmtem Rücken, so war sein Geist doch rege, sehr rege mit der Frage nach dem beschäftigt, was das Beste sei, die Tür zu schließen, von woher er die Luft heranziehen spürte, an sein nacktes Genick heranziehen fühlte, und seine Taschen abzusetzen und sich hinzusetzen, oder die Tür zu schließen und seine Taschen abzusetzen, ohne sich hinzusetzen, oder die Tür zu schließen und sich hinzusetzen, ohne seine Taschen abzusetzen, oder seine Taschen abzusetzen und sich hinzusetzen, ohne die Tür zu schließen, oder die Tür zu schließen, von woher er die Bö an sein nacktes Genick heranwehen fühlte, ohne seine Taschen abzusetzen oder sich hinzusetzen, oder seine Taschen abzusetzen ohne jede Bemühung, die Tür zu schließen oder sich hinzusetzen, oder sich hinzusetzen ohne jede Anstrengung, seine Taschen abzusetzen oder die Tür zu schließen, oder alles zu lassen, wie es war, die an seinen Händen zerrenden Taschen, den gegen seine Füße drückenden Boden und die durch die Tür an sein nacktes Genick heranwehende Luft. Und aus diesen Überlegungen folgerte Watt, daß, wenn eines dieser Dinge der Mühe wert wäre, alle der Mühe wert waren, daß jedoch kein einziges der Mühe wert wäre, nein, kein einziges, sondern daß alle nicht zu empfehlen wären, ohne Ausnahme. Denn er würde keine Zeit haben, sich auszuruhen und wieder zu wärmen. Denn das Hinsetzen kam einem Wiederaufstehen gleich, und die abgesetzte Last einer wieder aufzuhebenden, und die geschlossene Tür einer wieder zu öffnenden, so kurz nach dem letzten Mal und so kurz vor dem nächsten, daß alles ihn hö'chstwahrscheinlich auf die Dauer mehr ermüden als ermuntern würde. Und er sagte auch, als eine Art Folgesatz, daß selbst wenn er die ganze Nacht vor sich hätte, sich auszuruhen und wieder zu wärmen, auf einem Stuhl, in der Küche, es dann doch  ein kümmerliches Sichausruhen und ein erbärmliches Sichwärmen  sein würde neben der Ruhe und Wärme, an die er sich erinnerte, der Ruhe und Wärme, die er erwartete, eine fürwahr kümmerliche Ruhe und eine wertlose Wärme, und also in jedem Falle höchstwahrscheinlich auf die Dauer weniger ein Quell der Befriedigung als des Ungemachs. Aber seine Müdigkeit war so groß am Ende dieses langen Tages und seine Schlafenszeit so lange vorbei und also sein Verlangen nach Ruhe so dringend und sein Verlangen nach Wärme, daß er sich bückte, höchstwahrscheinlich in der Absicht, seine Taschen abzusetzen, auf dem Boden, und die Tür zu schließen, und sich an den Tisch zu setzen, und seine Arme auf den Tisch zu legen, und seinen Kopf in seinen Armen zu begraben, jawohl, zu begraben, und, wer weiß, womöglich nach einer Weile in einen unruhigen Schlaf zu fallen, in einen von Träumen zerfetzten und von Kopfsprüngen aus schrecklichen Höhen in felsgespicktes Wasser, vor einem zahlreichen Publikum. Er bückte sich also, aber er bückte sich nicht tief, denn kaum hatte das Sichbücken begonnen, als es auch schon endete, und kaum hatte er sich angeschickt, der Ruhe, einer unruhigen Ruhe zu pflegen, als er innehielt und regungslos verharrte, in einer Verschlimmerung seiner halb-aufrechten Haltung, einer so kläglichen Haltung, daß sie ihm bewußt wurde und er gelächelt hätte, wenn er nicht zu schwach gewesen wäre, zu lächeln, oder lauthals gelacht hatte, wenn er kräftig genug gewesen wäre, lauthals zu lachen. Innerlich war er freilich erheitert, und sein Geist ein Weilchen abgewandt von seinen Sorgen, aber weniger, als wenn er die Kraft zu lächeln oder lauthals zu lachen gehabt hätte. - (wat)

Entscheidungsfindung (17)  Gibt es überhaupt ein unlösbares Problem, ist ein solches konzipierbar, oder ist nicht vielmehr jede offensichtliche Unlösbarkeit auf eine unkorrekte Formulierung beziehungsweise auf ungenügende Daten oder auch auf beides zusammen zurückzuführen? Woraus zu schließen wäre, daß durch eine entsprechende Neuüberlegung . . . Doch sieh nur, in was für Spekulationen er sich jetzt und noch dazu in aller Ruhe erging und damit kostbare Zeit verlor! Freilich war dies keine müßige Spekulation, denn es mußte entschieden werden, und um etwas entscheiden zu können, muß man ja überlegen. Andererseits fehlte die Zeit zum Überlegen; folglich auch die Zeit zum Entscheiden. Aber eine Entscheidung mußte allemal getroffen werden, und zwar rasch; folglich war . . . was war denn, was war hier unbedingt zu überlegen oder unbedingt zu entscheiden, ohne erst zu überlegen? O weh, er war ein Mensch der Logik, wie wir bereits zur Genüge sahen; sonst hätte er sich gar nicht erst in dieser Situation befunden oder vielmehr, er hätte nur ein Allerweltsverbrechen begangen und sich, wie alle anderen Mörder auch, weitgehend dem Schicksal anvertraut. Hier aber war seine Selbstachtung in Frage gestellt, sein Meisterwerk tangiert; etwas aufs Geratewohl zu tun, wäre gegen seine Würde gewesen. Doch wie viele andere in äußerster Bedrängnis verlor auch er sich schließlich und endlich in Präliminarien, und die Minuten vergingen; oder, genauer gesagt, er verlor sich in den Modalitäten der Entscheidung, schier als scheute er deren Bezüglichkeit . . . Wohl ist es wahr, daß hier und vielleicht auch immer die Modalitäten der Entscheidungen und ganz allgemein des Denkens ebenso die Entscheidung und das Denken selber waren oder sind, wie ja schon die richtige Formulierung eines Problems der Lösung gleichkommt, und daß die Bezüglichkeit nicht getrennt von der Modalität konzipierbar ist, es sei denn vorübergehend oder systematisch als vorausgehende chaotische Phase: demzufolge man auch sagen kann, daß die Präliminarien schließlich das sind, worauf es am meisten ankommt. Aber nicht doch, das, worauf es einzig und allein ankommt. . . Oh, Schluß jetzt! Wieder waren zwei Minuten vergangen: es blieben noch fünf auswertbare; viereinhalb, denn nicht weniger als dreißig Sekunden waren erforderlich, um durch die große Eingangshalle zu eilen und dann die Treppe des Personaleingangs hinunter bis auf die Straße, das heißt in die rückwärts befindliche dunkle Gasse. Er gab sich alle Mühe, nicht in Panik zu geraten.  - Tommaso Landolfi, Abwärts. Nach (land)

Entscheidungsfindung (18)

Spieltheorie Entscheidung

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